Prinz Charming
konnte Taylor sein Alter nicht schätzen. Da sich einige graue Strähnen durch sein dichtes braunes Haar zogen, mußte er mindestens vierzig sein. Auf seiner schmalen Nase saßen dicke Brillengläser mit einem Metallgestell, das er immer wieder nach oben schob.
Seine äußere Erscheinung schien ihm Unbehagen zu bereiten, denn er senkte den Kopf, als er in geschäftsmäßigem Ton nach Taylors Wünschen fragte.
»Ich würde mir gern den Colt da hinten im Regal anschauen. Ist er zufällig geladen?«
»Geladene Waffen führen wir nicht«, erklärte er, reichte ihr den Colt und stellte ein kleines Munitionskästchen auf den Ladentisch. Sie öffnete es, und ehe der Mann sie daran hindern konnte, begann sie, die Pistole zu laden. »Was machen Sie denn da, Miss?« rief er erschrocken. Lächelnd blickte sie auf, und im selben Augenblick läutete hinter ihr die Türglocke. »Der - der Colt ist geladen!« stammelte er.
»Ja«, bestätigte sie, »Gott sei Dank! Gerade zur rechten Zeit!« Sie drehte sich um und sah ihre beiden Verfolger durch den Mittelgang zwischen den Regalen auf sich zukommen. Unter den schweren Stiefeln knarrten die Bodenbretter. Als sie die Waffe in Taylors Hand sahen, blieben sie sofort stehen.
»Dieses Schießeisen ist nicht geladen, Elwin«, verkündete der Kleinere und grinste Taylor boshaft an. Mehrere Zähne fehlten ihm, und er war eindeutig das widerlichste Individuum, dem sie jemals gegenübergestanden hatte.
»Klar, sie will nur bluffen, Wilburn«, meinte der andere.
Der Mann namens Elwin blickte sich um und stieß seinen Freund an. »Da gibt’s tolle Kanonen.«
Wilburn nickte und rief dem Ladenbesitzer zu: »Sind Sie der einzige, der hier arbeitet?«
»Darauf möchte ich wetten«, spekulierte Elwin.
Als der Eigentümer sich bückte, um unter den Ladentisch zu greifen, schrie Wilburn: »Keine Bewegung! Wenn wir schon mal da sind, können wir die Bude genausogut ausrauben, Elwin. Da hinten finden wir sicher einen Lagerraum, und dort vergnügen wir uns abwechselnd mit der kleinen Lady, einverstanden?«
Elwin kicherte wieder, und Taylor hätte ihn am liebsten auf der Stelle niedergeschossen. Hinter ihr flüsterte der Ladenbesitzer: »Großer Gott!«
»Nur keine Bange, Sir«, versuchte sie ihn zu beruhigen, ohne ihren Blick von den beiden Schurken abzuwenden.
»An Ihrer Stelle hätte ich schon ein bißchen Angst, kleine Lady«, bemerkte Elwin gedehnt und stieß seinen Freund lachend in die Rippen. Wilburns Hut rutschte noch tiefer in die Stirn herab. Seine Augen konnte Taylor nicht sehen, nahm aber an, daß sie genauso häßlich waren wie seine restliche Erscheinung.
Als er auf sie zukam, entsicherte sie die Waffe. Grinsend blieb er stehen, schob seinen Hut nach hinten, dann trat er noch einen Schritt näher.
Eine Kugel schleuderte ihm den Hut vom Kopf, und der krachende Schuß dämpfte seinen Wutschrei. Hinter ihm schlug das Geschoß in die Tür, die Schaufensterscheibe klirrte.
»Hat sie dich erwischt?« fragte Elwin verwirrt, und Wilburn schüttelte den Kopf
»Nicht einmal einen Kratzer hab’ ich abgekriegt.«
»Sie hat nicht geblufft...«
Wilburns Gesicht lief hochrot an, und er machte einen weiteren Schritt in Taylors Richtung. Da schoß sie ein Loch in seine Stiefelspitze. Den nächsten Versuch unternahm Elwin. Allmählich verlor sie die Geduld. Auch sein Stiefel mußte dran glauben.
Er krümmte die Zehen, um festzustellen, ob sie noch existierten und starrte die Frau an, die soeben sein Schuhwerk ruiniert hatte. »Nein, sie blufft tatsächlich nicht. Wir müssen uns alle beide auf sie stürzen.«
Dramatisch seufzte sie auf. »Was für alberne Kerle, nicht wahr?« fragte sie den Ladenbesitzer und hörte ihn kichern.
»Allerdings, Miss.«
In seinem Zorn hörte Elwin die Beleidigung nicht. Er griff in seine Jackentasche, und Taylor spannte den Hahn des Colts wieder an.
»Wir müssen ihr das Schießeisen entreißen«, entschied Wilburn, aber Elwin schüttelte den Kopf.
»Du kannst es ja versuchen. Siehst du denn nicht, worauf sie zielt? Auf meine kostbarsten Teile! Die ist verrückt, Wilburn. Weiß Gott, was ihr noch alles einfällt!«
Langsam traten die beiden den Rückzug an.
»Das werden wir Ihnen nicht vergessen, Lady!« versprach Wilburn.
Und Elwin fügte hinzu: »Wir kriegen Sie schon noch!«
Da ergriff der Ladenbesitzer die Initiative. Er hob das geladene Gewehr, das er unter dem Tisch versteckt hatte, und rief: »Wenn’s sein muß, erschieße ich euch alle
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