Prinz Charming
verschränkte die Arme vor der Brust.
»Soll ich sie erschießen?« fragte Hunter emotionslos. Erschrocken schnappte Shirleen nach Luft, dann hielt sie den Atem an, während sie auf Taylors Antwort wartete.
Sein Augenzwinkern entging ihr, aber Taylor nicht, und sie erkannte, daß er nur bluffte, um die Frau einzuschüchtern.
Ein paar Sekunden lang geduldete sich Taylor, damit Shirleen über ihre Situation nachdenken konnte, dann lächelte sie Hunter an. »Ja, bitte«, antwortete sie in höflichem Ton, als wollte sie bei einem dienstbeflissenen Kellner eine zweite Tasse Tee bestellen.
Shirleen erblaßte unter ihrer dicken Schminke, und als sie Hunters Hand im Nacken spürte, rief sie: »Es ist der Schlüssel von der Schlafzimmertür! Ich hole ihn!«
Aber Hunter bedeutete ihr, sich nicht von der Stelle zu rühren, und zog den Schlüssel aus dem Schloß. Er blieb auf der Schwelle stehen, weil er von hier aus die Wohnungstür im Auge behalten konnte, und er wollte vorbereitet sein, falls einer der Border-Brüder hereinkam. Aus diesem Grund händigte er Taylor den Schlüssel nicht aus, sondern warf ihn ihr zu.
Geschickt fing sie ihn auf und öffnete die Schranktür, die plötzlich kraftvoll gegen ihren Arm gestoßen wurde, so daß sie zurücktaumelte und an die Wand prallte.
Sie wollte wieder zum Schrank laufen. Doch Lucas hob warnend eine Hand, und Hunter richtete eine seiner Pistolen auf den offenen Schrank. Womöglich versteckte sich ein bewaffneter Mann darin.
Diese Befürchtung hegte auch Lucas und drehte sich rasch herum, so daß er die kleinen Mädchen mit seinem Körper schützte, falls es zu einer Schießerei kam. Alles Weitere überließ er seinem Freund.
Hunter trat einen Schritt beiseite, um sich dem Schrank aus einem günstigeren Winkel zu nähern, dann blieb er wie festgewurzelt stehen und traute seinen Augen nicht. Ein sechs- oder siebenjähriger Junge sprang aus seinem Gefängnis und schaute sich verzweifelt nach allen Seiten um. Schwarzes Haar reichte ihm bis zu seinen schmalen Schultern, in den braunen Augen lag unverhohlene Panik. Lucas beobachtete ihn, von wachsendem Zorn erfaßt. Wie lange war der arme Kleine in diesem Schrank eingesperrt gewesen?
Hunter war ebenso wütend wie sein Freund. Er musterte das Kind, sah sich selber als kleinen Jungen, beinahe überwältigt von Schmerz und Rachsucht.
Verwundert lehnte Taylor an der Wand, rang nach Atem, und dann wurde ihr bewußt, wie grausam man den Jungen behandelt hatte. Tränen brannten in ihren Augen. Bei Gott, dieses Verbrechen sollten die Schuldigen bitter büßen.
Aber nun mußte der verängstigte kleine Junge erst einmal getröstet werden. Sie ging zu ihm, aber er beachtete sie nicht. Als er die Zwillinge in Lucas’ Armen entdeckte hatte, schrie er erbost auf und rannte zu dem Mann, der es gewagt hatte, seine Schützlinge anzurühren.
Ehe er seinen Kopf gegen Lucas’ Hüfte rammen konnte, packte ihn Hunter. Kreischend schlug das Kind um sich und trat nach allen Seiten. Er hob es hoch und wandte sich hilfesuchend zu Taylor, denn er wußte nicht, wie er den kampflustigen Jungen bändigen sollte, ohne ihn zu verletzen.
»Lassen Sie ihn los!« bat Taylor.
»Das ist ein kleiner Wilder!« rief Shirleen. »Ein Halbblut. Er bildet sich ein, er müßte die Mädchen beschützen. Deshalb wurde er in den Schrank gesperrt. Niemanden wollte er in die Nähe der beiden lassen. Er behauptet, er sei ihr Bruder, aber das ist natürlich eine Lüge. Man braucht ihn nur anzusehen.«
»Er ist ihr Bruder«, widersprach Taylor.
Sobald Hunter das Kind auf die Füße gestellt hatte, versuchte es, an ihr vorbeizulaufen, zu den kleinen Mädchen. Aber sie packte seine Hand und zog ihn zu sich heran. Dunkles Haar hing ihm ins Gesicht, und sie strich es sanft aus seiner Stirn. »Jetzt fahren wir nach Hause.«
Er warf ihr einen kurzen Blick zu. »Sie dürfen mir die Mädchen nicht wegnehmen. Das erlaube ich nicht.«
Als sie spürte, wie er zitterte, nahm sie ihn in die Arme und sprach flüsternd auf ihn ein. Was sie sagte, verstand Lucas nicht, aber als sie sich aufrichtete, sah er Tränen in den Augen des kleinen Jungen. Sie streckte ihre Hand aus, und er griff nur zögernd danach, immer noch mißtrauisch. Lächelnd nickte sie ihm zu, und das schien ihn zu beschwichtigen. »Wo sind deine Schuhe?« fragte sie.
»Ich habe keine. Diese Leute haben sie weggeworfen.«
Nur mühsam verbarg sie ihren Zorn. »Morgen kaufen wir dir ein Paar. Würden Sie ihn tragen,
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