Prinz der Nacht
ging ins Wohnzimmer, wo Astrid auf der Couch saß und ein Buch in Blindenschrift las. Sasha kauerte zu ihren Füßen und starrte Zarek an, die grauen Wolfsaugen voller Hass.
Nachdem Zarek ein weiteres Holzscheit ergriffen hatte, setzte er sich in einen Sessel beim Kamin, damit er die Späne ins Feuer werfen konnte. »Warum halten Sie sich einen Wolf als Haustier?« Wieso er mit ihr redete, wusste er nicht.
Normalerweise hätte er sich nicht darum bemüht. Doch ihr Lebensstil erregte eine seltsame Neugier in ihm.
»Ich weiß nicht so recht«, erwiderte sie, bückte sich und tätschelte Sasha. »Ich fand ihn verletzt da draußen, so wie Sie in jener Nacht, brachte ihn herein und pflegte ihn gesund. Seither wohnt er bei mir.«
»Erstaunlich, dass er sich zähmen ließ.«
»Ja, das überrascht mich auch«, sagte sie lächelnd. »Es war nicht einfach, sein Vertrauen zu gewinnen.«
Eine Zeit lang dachte Zarek nach. »>Du musst sehr geduldig sein. Du setzt dich zuerst ein wenig abseits von mir ins Gras.«<
Als er einige ihrer Lieblingszeilen zitierte, hielt sie verblüfft den Atem an. »Sie kennen den >Kleinen Prinzen«
»Ein- oder zweimal habe ich das Buch gelesen.«
Gewiss noch öfter, wenn er diese Passage fehlerfrei zitieren konnte ... Weil sie ihn sehen wollte, berührte sie Sasha noch einmal.
Zarek saß ihr schräg gegenüber und schnitzte an seinem Holzscheit. In seinen Mitternachtsaugen tanzte der Widerschein des Feuers, der graue Pullover schmiegte sich an seinen Körper. Trotz der Bartstoppeln bewunderte sie erneut sein markantes Gesicht.
Während seiner künstlerischen Tätigkeit wirkte er fast entspannt, eine poetische Grazie kämpfte mit dem harten, zynischen Zug um seinen Mund. Die tödliche Aura umschloss ihn so eng wie die schwarze Lederhose.
»Dieses Buch liebe ich«, sagte sie leise. »Schon immer war es einer meiner Lieblingsromane.«
Schweigend nickte er. Seine langen Finger glitten anmutig über das Holz. Zum ersten Mal erschien ihr die Luft rings um ihn nicht mehr so düster, so gefährlich. Keineswegs friedlich, aber nicht so unheimlich wie zuvor.
»Haben Sie das Buch in Ihrer Kindheit gelesen, Zarek?«
»Nein.«
Den Kopf schief gelegt, beobachtete sie ihn. Schließlich unterbrach er seine Arbeit, erwiderte ihren Blick und runzelte die Stirn. Astrid ließ Sasha los und lehnte sich zurück. Aufmerksam musterte Zarek die Frau und den Wolf.
Hier ging etwas sehr Eigenartiges vor, das sagten ihm alle seine Instinkte. Mit schmalen Augen starrte er Sasha an.
Wenn er es nicht besser wüsste ...
Aber warum sollte ein Werwolf bei einer blinden Frau in Alaska leben? Hier würden die Magnetfelder einen Arkadier oder Katagari besonders stark behindern, und es würde ihm schwerfallen, eine konstante beständige Gestalt beizubehalten, während die Magie der Elektronen die Luft durcheinanderwirbelte.
Nein, unwahrscheinlich. Und doch ... Er schaute zu der kleinen Uhr auf dem Kaminsims. Fast vier Uhr morgens. Für ihn war es noch früh. Aber nur wenige Menschen gingen so spät schlafen. »Bleiben Sie immer so lange auf, Prinzessin? «
»Manchmal.«
»Haben Sie keinen Job, für den Sie aufstehen müssen?«
»Nein, ich lebe vom Geld meiner Familie. Und Sie, Prince Charming?«
Bei diesen Worten glitt seine Hand vom Holzscheit. Das Geld ihrer Familie ... Offenbar war sie noch reicher, als er vermutet hatte. »Sicher ist es angenehm, wenn man seinen Lebensunterhalt nicht verdienen muss.«
Astrid hörte den bitteren Klang in seiner Stimme. »Haben Sie etwas gegen reiche Leute.«
»Oh, ich hege keine Vorurteile, Prinzessin, ich hasse alle gleichermaßen.«
Das hatte Artemis erwähnt, die ihn primitiv, grobschlächtig und widerlich fand. Da diese Einschätzung von einer so unausstehlichen Göttin stammte, hat es einiges zu bedeuten, entschied Astrid.
»Und Sie, Zarek? Was tun Sie, um Ihren Lebensunterhalt zu bestreiten?«
»Dies und das.«
»Ah, dies und das? Sind Sie ein Landstreicher?«
»Werfen Sie mich hinaus, wenn ichja sage?«
Obwohl er völlig emotionslos sprach, spürte sie, dass er angespannt auf ihre Antwort wartete. Wünschte er, sie würde ihm die Tür weisen? »Nein, Zarek, in diesem Haus sind Sie willkommen.«
Nun hörte er zu schnitzen auf und starrte in die Flammen. Diese Worte jagten einen unerwarteten Schauer durch seinen Körper. Aber er sah nicht das Feuer, sondern Astrids Gesicht. Ihre melodische Stimme hallte in der Tiefe seines Herzens wider, das er längst für tot
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