Prinz der Nacht
»Komm, du Ratte, ich zeige dir deine neuen Pflichten.«
Klopfenden Herzens erwachte Astrid aus dem Traum. Von der gewohnten Finsternis umgeben lag sie auf ihrem Bett, sie war von Zareks Leid erfüllt. Nie zuvor hatte sie eine so abgrundtiefe Verzweiflung erlebt, nie eine solche Sehnsucht, einen solchen Hass.
Jeden hasste Zarek - vor allem sich selbst. Kein Wunder, dass er dem Wahnsinn verfallen war. Wie hatte er es nur geschafft, in diesem Elend weiterzuleben?
»M' Adoc?«, wisperte sie.
»Hier bin ich.« Er saß neben ihr.
»Gib mir etwas mehr von dem Serum und ein Fläschchen mit deinem Lotustrank.«
»Bist du sicher?«
»Ja.«
7
Kurz nach Mittag erwachte Zarek. Er schlief nur selten den ganzen Tag. Im Sommer war es in seiner Hütte zu heiß, im Winter zu kalt. Aber meistens verwehrten ihm die Träume, länger zu schlummern. Die Vergangenheit verfolgte ihn, ließ ihm keine Ruhe, und in bewusstlosem Zustand konnte er die Erinnerungen nicht verjagen.
Als er die Augen öffnete und den Wind rauschen hörte, entsann er sich, wo er war.
In Astrids Haus.
Während der Nacht hatte er die Vorhänge geschlossen, deshalb sah er nicht, ob es noch schneite. Nicht, dass es eine Rolle spielte. Tagsüber war er hier gefangen.
Bei ihr.
Er stieg aus dem Bett, ging zur Küche und wünschte, er wäre daheim. Jetzt brauchte er einen richtigen Drink.
Natürlich würde der Wodka den Traum nicht verscheuchen, der in seinem Gedächtnis haftete, aber die bedrückende Wirkung ein wenig mildern.
»Zarek?«
Er wandte sich in die Richtung der sanften Stimme, die ihm wie eine zärtliche Liebkosung erschien, und neues Verlangen regte sich. Allein schon der Gedanke an ihren Namen genügte, um seine Lust zu wecken. »Ja?« Warum er antwortete, wusste er nicht. Normalerweise hätte er geschwiegen.
»Sind Sie okay?«
Er schnaufte verächtlich. Noch nie in seinem Leben war er »okay« gewesen. »Haben Sie irgendwas zu trinken?«
»Fruchtsaft und Tee.«
»Alkohol, Prinzessin. Gibt' s irgendwas, das einen in die Kehle beißt?«
»Nur Sasha. Und Sie.«
Er starrte die hässlichen Wunden an seinem Arm an, die er dem Biest verdankte. Bei jedem anderen Dark Hunter wären sie mittlerweile verheilt. Nur bei ihm - typisch für sein Pech - würde es noch eine Weile dauern, das galt auch für das Loch im Rücken.
Seufzend nahm er einen Karton Orangensaft, öffnete ihn und hielt ihn an die Lippen. Dann erinnerte er sich - das war nicht sein Saft, er hielt sich nicht in seinem Haus auf. Der bösartige Teil seines Wesens drängte ihn, den Saft aus dem Karton zu trinken. Das würde Astrid nicht merken. Aber er hörte nicht auf die unzivilisierte Stimme, holte ein Glas aus dem Schrank und füllte es bis zum Rand.
Nur diese schwachen Geräusche verrieten Astrid, dass er sich noch in der Küche befand. Weil er so leise war, musste sie sich anstrengen, um sicherzugehen. »Sind Sie hungrig?«, fragte sie und steuerte die Spüle an.
Aus reiner Gewohnheit streckte sie eine Hand aus und berührte eine warme, nackte Hüfte, glatte, reizvolle Haut. Sehr verlockend. Verblüfft über das unerwartete Gefühl, ließ sie ihre Hand hinabwandern und berührte einen muskulösen Schenkel.
Offenbar war der Mann in ihrer Küche splitternackt. Ihr Herz begann schneller zu pochen. Hastig wich er zurück.
»Fassen Sie mich nicht an !«
Seine zornige Stimme sandte einen Schauer durch ihren Körper. »Wo sind Ihre Kleider?«
»Dachten Sie, ich würde in meiner Hose schlafen?« Ihre Finger brannten immer noch von dem erregenden Hautkontakt. »Bevor Sie hierhergekommen sind, hätten Sie sich anziehen können.«
»Warum sollte ich? Sie sind blind, Lady. Also sehen Sie mich nicht.«
Natürlich nicht. Aber wenn Sasha wach wäre, würde er einen Wutanfall kriegen. »Sie müssen mich nicht an meine Behinderung erinnern, Prince Charming. Dass ich Sie nicht sehe, weiß ich sehr gut.«
»Seien Sie froh.«
»Wieso?«
»Weil es sich nicht lohnt, mich anzuschauen.«
Seltsam, wie aufrichtig diese Worte klangen. Was sie mit Sashas Augen betrachtet hatte, war durchaus sehenswert gewesen. Dann dachte sie an seinen Traum, an die verächtlichen Blicke seiner Mitmenschen. In seiner
Selbsteinschätzung war er immer noch der elende Sklave, den sie verprügelt und verflucht hatten. Beinahe kamen ihr die Tränen. »Das bezweifle ich«, flüsterte sie halb erstickt.
»Glauben Sie mir.«
Sie hörte ihn aus der Küche stürmen und die Tür seines Zimmers ins Schloss fallen.
Weitere Kostenlose Bücher