Prinz für die Köchin
das Restaurant übernommen habe. Ich habe eine moderne Speisekarte eingeführt. Ich habe die Kacheln überkleben lassen und die schäbige Terrasse abgeschafft, auf der die Fischer aus dem Ort immer alle gesessen haben«, berichtete er und zeigte auf die zum Hafen hin gelegene Wand, »weil ich wollte, dass das Boustifaille ein restaurant gastronomique wird – ein Schatzkästchen, chic et elegant, und kein ordinäres Café.«
Ein elegantes Schatzkästchen?, dachte Imogen ungläubig und ließ den Blick über die trübsinnigen Teppichwände wandern, über die grässlichen Clownbilder. Grundgütiger, Monsieur Boudin mochte ja ein großartiger Küchenchef sein, aber wenn es um Inneneinrichtung ging, hatte er einen grauenvoll schlechten Geschmack. Nun ja, niemand war vollkommen, sagte sie sich. Aus den Augenwinkeln sah sie, dass der Rest der Boustifaille-Mannschaft sich nach und nach zurückgezogen hatte und sich jetzt um die Bar scharte und ihr das Feld überließ. Na schön. Aus einem plötzlichen Impuls heraus sagte sie: »Ich bringe Sie nach Hause, Chef . Okay?«
Boudin nickte. »Danke, petite. Ich bin sehr müde.«
Als sie auf die Straße hinaustraten, behielt Imogen den unsicheren Gang ihres bulligen Begleiters genau im Auge und sorgte dafür, dass er nicht auf die Straße tappte. »Sie sind ein hervorragender Koch, Monsieur«, sagte sie entschieden. »Sie wissen doch, Restaurantkritiker kommen und gehen. Was zählt, ist das Essen, das Sie zubereiten.«
Boudin nickte und antwortete dann betrübt: »Vielleicht haben die Kritiker ja recht. Vielleicht habe ich wirklich nicht mehr das nötige Fingerspitzengefühl. Mein Restaurant, ich habe es so geliebt, aber jetzt ist es zu einem Ungeheuer geworden. Es fordert so viel Energie, und ich muss ständig mit neuen Ideen aufwarten und mir neue Gerichte ausdenken.« Er blieb unter einem blinkenden Neonschriftzug stehen, der sein erschöpftes Gesicht erst blau, dann rot aufleuchten ließ, als er verkündete: »Ich bin müde und deprimiert, Imogen. Ich habe das alles satt.«
»Vielleicht brauchen Sie ja mal eine Pause – einen Urlaub.«
Monsieur Boudin schüttelte den Kopf. »Oh nein. Im Urlaub fühle ich mich nicht wohl – das macht mich immer müde und deprimiert mich.«
»Ich verstehe.« Sie biss auf ihrer Lippe herum. »Was möchten Sie denn dann, Monsieur?« Wenn es darum ging, dass sich die gesamte Küchenbesatzung am Riemen reißen sollte, ließe sich da wahrscheinlich etwas machen. Monsieur Boudin stieß einen herzzerreißenden Seufzer aus. »Ich möchte geliebt werden.«
»Mmm«, erwiderte Imogen unverbindlich. Das war ein etwas größerer Wunsch, als sie sich vorgestellt hatte. Im Moment konnte sie sich nicht mehr erinnern, ob er Kinder hatte. »Haben Sie … Familie?«, erkundigte sie sich behutsam.
»Nein. Nur das Boustifaille.«
»Na ja, das haben Sie ja immerhin noch.«
»Ich weiß nicht mehr, was ich habe«, brummte Boudin. Imogen machte versuchsweise einen Schritt und war erleichtert, als er ihr folgte. »Ich habe mich verirrt, petite. Keine Karte, kein Kompass – verloren.«
»Aber Sie haben doch bestimmt viele Freunde«, wandte Imogen hartnäckig ein. »Ich meine, Sie kennen doch jeden in Saint-Jean, und alle kennen Sie.«
»Ja, das stimmt. Aber Boudin ist auch ein Mann, verstehst du?« Er wandte sich ihr zu; sein Gesicht war eine Maske der Verzweiflung.
»Mmm«, sagte Imogen abermals. Sie war sich nicht ganz sicher, worauf das hier hinauslief.
»Und ein Mann braucht eine Frau in seinem Leben.«
In einem Aufblitzen paranoiden Erschreckens fiel Imogen Mitchs flapsige Bemerkung ein, dass Boudin doch ein möglicher Kandidat für die Stromausfall-Episode sein könnte. Nein – doch wohl ganz bestimmt nicht? Oh Gott. Denn wenn das stimmte, hatte sie Monsieur Boudin, den sie ungemein bewunderte, zu dem sie sich jedoch nicht im Mindesten hingezogen fühlte, im Laufe ihres E-Mail-Austauschs eröffnet, dass sie ihn liebte. Das war ja nun ziemlich peinlich. Und wenn er sich plötzlich auf sie stürzte?, überlegte sie nervös. Sollte sie sich dann ducken? Oder einfach davonlaufen?
»Aber sie ist doch so wunderschön!« , brüllte Monsieur Boudin plötzlich und raufte sich die Haare. »Sie ist wie eine Erscheinung! Und natürlich liebt sie mich nicht! Niemand liebt Boudin! Niemand!«
»Wer? Wer liebt Sie nicht?«, wollte Imogen erleichtert und aufrichtig interessiert wissen.
Wortlos und kläglich schaute Boudin in die Höhe. Imogen folgte seinem
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