Prinz für die Köchin
entwickelte auf jeden Fall ein lebhaftes Interesse daran. Und das, überlegte sie weiter, kam daher, dass ihr Körper wie befreit war; ein Gefühl, das sie bisher nicht kannte. Seit es Frühling geworden war, war sie viel im Meer geschwommen und zeigte auch sonst mehr Haut. Heute fühlte sich die Luft besonders zärtlich an, wie ein köstliches Bad. Doch noch etwas anderes war in ihr zugange – ein Gefühl, als wären alle ihre Sinne geweckt worden, das von einem … nun ja … einem intensiven körperlichen Verlangen herrührte und von dem Wissen, dass er ebenfalls an sie dachte. Oh, sie wollte ihn sehen . Jetzt gleich.
Während sie den durchscheinenden Teig über eine mundgerechte Menge aromatischer Lammfleisch-Füllung faltete, sann Imogen darüber nach, dass sie fast schon vergessen hatte, wie kurz sie erst auf Bastiens Posten arbeitete. Seit ihrer Beförderung waren nur wenige Tage vergangen. Gerade wollte sie die Beschaffenheit des Tomatensorbets prüfen, das als Beilage gereicht wurde – ein köstlicher, fruchtiger Kontrapunkt zu dem gehaltvollen Fleisch –, als der sichtlich verstörte Jean-Jacques zu ihrem Arbeitstisch gehuscht kam.
Nachdem er sich über die Schulter hinweg nach Monsieur Boudin umgesehen hatte, verkündete er im lauten Bühnenflüsterton: »Weißt du noch, dieser Fleck da, den wir gestern bemerkt haben, an der Wand im Restaurant? Also, der ist viel schlimmer geworden. Anscheinend ist im Obergeschoss irgendwas undicht. Ich habe den Klempner angerufen. Aber in der Zwischenzeit können wir das eine Ende vom Speisesaal nicht benutzen, als hätten wir nicht schon genug um die Ohren. Der Teppich an der Wand ist völlig hinüber. Der muss runter.«
Nun, das war möglicherweise Glück im Unglück, dachte Imogen insgeheim. Sie war noch nie ein Fan des Restaurantdekors gewesen, und Nadine Picore hatte sich in ihrem Artikel ja auch ziemlich abfällig darüber ausgelassen.
Als der Mittagsservice vorbei war, diagnostizierte der herbeigerufene Spezialist in der Tat eine Art massiven Sanitär-Infarkt und verkündete, dass eine Generalüberholung unumgänglich sei. Die Wände müssten neu verputzt werden. Während dieser Zeit würde das Restaurant geschlossen bleiben müssen.
Als man Monsieur Boudin diese widrigen Neuigkeiten überbrachte, marschierte der Küchenchef in den Speisesaal.
In vorsichtigem Abstand folgten ihm seine Mitarbeiter. In seiner weißen Kluft sah Monsieur Boudin aus wie ein breitschultriger Eisbär. Er stand vor der schadhaften Wand, von der der ochsenblutfarbene Spannteppich abgelöst worden war, und begann zu weinen.
Während Bastien zu ihm eilte, um ihm gut zuzureden, und Larissa ihn dazu brachte, eine Tasse Kaffee anzunehmen, nahm Imogen die Wand in Augenschein. Der Teppich war ziemlich schlampig direkt auf die frühere Verkleidung geklebt worden: Kacheln in Grün- und Blautönen glänzten hier und dort darunter.
»Was machst du denn da, petite?«
Imogen fuhr zusammen. Monsieur Boudin stand neben ihr und starrte sie aus rotgeränderten Augen an.
»Ich wollte mir nur die Kacheln da ansehen. Das sind hübsche Farben.«
»Ja, sie sind hübsch. Als kleiner Junge habe ich diese Kacheln geliebt.«
Monsieur Boudin nahm seine Kochmütze ab, knüllte sie geistesabwesend mit einer Hand zusammen und benutzte sie dann, um sich das fleckige Gesicht abzuwischen. »Weißt du, petite, das hier ist mein Zuhause. Ich bin fast in der Küche geboren worden.« Er lächelte und schaute über die Schulter. »Damals war die Küche natürlich viel kleiner, und sie war da drüben, wo jetzt die Bar ist. Aber ich langweile dich.«
»Nein, nein, bitte erzählen Sie weiter.«
»Mein Großvater hat einst das Restaurant eröffnet«, fuhr Boudin fort und betrachtete mit offenkundiger Überraschung seine zerknüllte Kochmütze, ehe er sie in die Tasche seiner Schürze stopfte. »Viel schlichter als das Boustifaille – wir haben nur fruits de mer und Fisch serviert. Es war wunderbar. Damals haben wir im Obergeschoss gewohnt, und ich habe mit meinem Bruder Marcel hier unten gespielt.«
Als der Name jenes abtrünnigen Bruders fiel, der Boudin die Frau ausgespannt hatte, zuckte Imogen innerlich zusammen, doch ihr Arbeitgeber erzählte unbeirrt weiter.
»Und dann habe ich angefangen, in der Küche zu helfen. Ich war ein sehr arroganter Bengel, ich dachte, ich könnte das alles viel besser.« Er schnaubte; es hörte sich an wie ein zorniges Nashorn. »Also habe ich hier alles verändert, als ich
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