Prinz für die Köchin
über ihr mangelndes Kunstverständnis zu amüsieren. Offenbar war Archer genauso.
»Einfach nur interessant, okay?«, sagte sie patzig. »Mir ist nicht ganz klar, warum ich auf einmal meine Meinung rechtfertigen muss.«
»Oh, musst du auch gar nicht«, erwiderte er und betrachtete sie mit einem halben Lächeln.
Imogen starrte entschlossen zurück und dachte dabei, dass sie nie den Mumm gehabt hatte, sich derart zu behaupten, wenn jemand aus ihrer Familie sie geärgert hatte. Nun, sie lernte schnell, und wenn sie nach Hause fuhr, dann kam es überhaupt nicht in Frage, dass sie Hildegard oder ihrer Mutter erlauben würde, so mit ihr umzuspringen wie früher.
»Fast hätte ich’s vergessen!«, rief Amaury, und sie wandte sich dankbar zu ihm um. »Ich war entsetzt, als ich las, dass das Boustifaille seinen Goldenen Löffel verloren hat. Dein Chef ist bestimmt am Boden zerstört.«
Imogen war wie vor den Kopf geschlagen. »Nein! Das ist ja schrecklich! Ich habe noch mit niemandem aus dem Restaurant gesprochen – mein Dienst fängt erst in einer Stunde an.«
Wenn sie es recht bedachte, war sie so mit der Begegnung des vergangenen Abends beschäftigt gewesen, dass sie nicht einmal ihr Handy eingeschaltet hatte. Als sie es jetzt tat, zeigte das Display an, dass 17 SMS eingegangen waren. Alle waren von Bastien und schilderten das Debakel des Goldenen Löffels in einer Serie telegraphischer Textvignetten.
Zuerst war Monsieur Boudin an diesem Morgen in fürchterlicher Stimmung in die Küche getaumelt gekommen, eine Ausgabe des Guide Gastronomique du Midi in den Händen. Obwohl eindeutig völlig betrunken, hatte er darauf bestanden, mit dem Kochen anzufangen, wobei ihm sein verschrecktes Personal notgedrungen zur Hand gegangen war. Nach einer Weile hatte er sich eine Flasche Cognac geholt, sie geleert und dabei den Guide Gastronomique in Fetzen gerissen. Jean-Jacques und Patrice waren herbeizitiert, nach stornierten Reservierungen befragt und zu dem Geständnis genötigt worden, dass bereits etliche Absagen vorlagen. Hierzulande verbreiteten sich solche Neuigkeiten rasch. Woraufhin Monsieur Boudin drei Dutzend Eier in einer Schüssel schaumig geschlagen, der Mixtur die zerfetzten Seiten des Gastronomieführers hinzugefügt und versucht hatte, ein extra großes Omelette daraus zu bereiten. Sodann hatte er, nachdem er die brennende Pfanne gegen die Wand geschleudert hatte, sämtliche Anwesenden gefeuert, ehe er in reumütige Tränen ausgebrochen war und auf einer höchst peinlichen Gruppenumarmung bestanden hatte. Bei welcher er dann umgekippt war, woraufhin Pierrot und Manu ihn in den Lieferwagen verfrachtet und ihn nach Hause und ins Bett gebracht hatten.
Danach hatten die Angestellten gestritten, ob sie das Restaurant für heute schließen sollten. Die Nein-Stimmen, allen voran Bastien, hatten knapp gesiegt. Man durfte doch vor der Öffentlichkeit nicht das Gesicht verlieren. Sie hatten den Mittagsservice einigermaßen über die Runden gebracht, aber Jean-Jacques und Larissa hatten endlose Fragen der Kunden abwimmeln müssen, ob denn Monsieur Boudin heute in der Küche sei. Bastien fragte an, ob es Imogen etwas ausmachen würde, früher zum Dienst zu kommen. Alle Mann würden an Deck gebraucht.
Imogen entschuldigte sich bei allen in der Galerie, ließ Monty bei Mitch und hastete zum Restaurant. Als sie in den Hof trat, huschte ihr Blick zum Sicherungskasten hinüber. Pierrot hatte ihr gezeigt, wo dieser sich befand, in einer Nische am Fuß einer kleinen Treppe, gleich neben der Küchentür – der Küchentür mit dem Glasfenster. Es wäre möglich, überlegte sie, dass jemand, der im Hof gestanden hatte, sie auf der Suche nach Monty in die hell erleuchtete Küche hatte treten sehen. Tatsächlich könnte Wer-immer-es-auch-war Monty auch in die Küche gelassen haben, in der Hoffnung, sie dorthin zu locken. Ja, das war durchaus möglich. Und dann, vorausgesetzt, er wusste bereits, wo der Sicherungskasten war, brauchte er nur noch die Sicherungen herauszudrehen und … in die Küche zu schlüpfen und … Was als Nächstes geschehen war, wusste sie sehr gut. Nur nicht, mit wem es geschehen war. Das war das Problem.
30
»Chef« , setzte Imogen am folgenden Abend an, kurz nachdem sie ins Boustifaille gekommen war, »ich wollte nur sagen, wie leid es mir tut … das mit dem Guide .« Sie hielt inne und traute sich nicht recht, ihrem Boss direkt ins Gesicht zu blicken. »Wenn ich noch irgendetwas helfen kann«, fuhr sie
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