Prinzentod
fährt vor meinen Augen Karussell, hängt vor mir in der Luft und grinst mich an. Ich versuche, tief durchzuatmen, und frage mich, ob die erhängte Maus eine ganz andere Bedeutung hatte, als ich dachte. Oder hat derjenige, der das mit der Maus getan hat, nichts von Bernadettes Geheimversteck gewusst? Ich glaube langsam nicht mehr an Zufälle. »Was ist denn mit dir? Du siehst so blass aus?«, fragt Bernadette, stopft den Beutel zurück in die Maus und kommt zu mir. »Machst du dir immer noch Gedanken über meinen Scherz? Wir werden das Zeug nicht anrühren, ich verspreche es!« Sie streicht mir beruhigend über meinen Arm, aber das macht mich jetzt nur noch nervöser. Sieht sie denn gar nicht, was hier los ist?
»Wir müssen deiner Mutter Bescheid sagen. Das ist viel zu viel Stoff!« Bernadette nickt. »Stimmt schon. Aber Vio zu verpetzen, so fies bin ich dann doch wieder nicht. Außerdem macht Mama gerade genug durch. Nein, wir müssen erst mit Vio reden. Nur ihre klugen Ratschläge kann sie sich jetzt ein für alle Mal sparen.«
22. Kapitel
L eider haben wir gestern Abend umsonst auf Vio gewartet. Aber wenigstens hat Bernadette endlich wieder in unserer Wohnung übernachtet und vielleicht habe ich deshalb das erste Mal seit Kais Tod ein paar Stunden durchgeschlafen. Jedenfalls fühle ich mich heute ein bisschen besser. In der Schule war Bernadette immer noch nicht, langsam habe ich das Gefühl, sie nutzt die Gelegenheit aus, um ihre Sommerferien ein bisschen zu verlängern. »Geh du nur ruhig«, hat sie heute Morgen gesagt und sich grinsend über die Zeitung gebeugt, wieder ganz die alte Bernadette. »Ich trauere noch.« Aber als ich um drei Uhr nach Hause komme, ist ihre gute Laune allerdings wieder verschwunden. »Keine Spur von Violetta«, seufzt sie. »Was, wenn sie heute auch nicht kommt?« »Bleibt sie denn öfter mal über Nacht weg?«, frage ich. Bernadette zuckt mit den Schultern. »Hat mich nie groß interessiert.« Nach drei Stunden Wache werden wir dann doch belohnt. Violetta kommt mit ihrer knatternden Vespa und stellt sie unten vorm Haus ab. Und dann braucht sie nicht mal fünf Minuten, um unsere Wohnungstür so vehement aufzureißen, dass die Türklinke gegen die Wand donnert. Ihr Rock weht hinter ihr her, so schnell ist sie. Als sie uns auf der Dachterrasse entdeckt, ist sie mit ein paar Schritten bei Bernadette, packt sie mit beiden Händen am Shirt und schüttelt sie. »Du kleine Ratte!« Es ist fast das erste Mal, dass ich Violetta normal reden höre, ohne Zitate und ohne Überheblichkeit. Beinahe wirkt sie menschlich. Sie lässt Bernadette los und geht auf der Dachterrasse auf und ab. »Also, ihr kleinen Hosenscheißer, wa s soll das? Ich brauch das Zeug, und zwar presto. « »Willst du einen Kaffee?«, fragt Bernadette provozierend ruhig . Vio mustert ihre Schwester, als müsste sie an sich halten, si e nicht sofort zu erwürgen . Höchste Zeit einzugreifen. »Wir haben uns Sorgen gemacht« , sage ich . Violetta verzieht ihren Mund zu einer höhnischen Grimasse . »Ach ja? Sorgen? Jetzt kommt ihr Teenies mir mit dem Gesülze, mit dem mich Kai schon wahnsinnig gemacht hat. Ic h kann auf mich alleine aufpassen. Und im Übrigen geht euc h das alles einen Scheißdreck an. « Ich ziehe den Teststab hervor. »Hat Kai dich gezwungen, diesen Test zu machen?«, frage ich . Vio schnaubt, als sie sieht, was ich in den Händen halte. »Ka i dachte, er ist der Retter der Welt, der verlogene Hurensohn. « »Vielleicht war er wirklich um dich besorgt. « »Na und? « Mein Mund wird trocken, als mir plötzlich etwas einfällt . Angeblich tun doch Süchtige alles, um an ihren Stoff z u kommen. Was, wenn ich recht damit hatte, dass es nicht i n erster Linie um mich geht ? »Hast du etwas mit Kais Tod zu tun?«, frage ich so ruhig wi e möglich. »War er dir etwa im Weg? « »Du tickst wohl nicht richtig!«, schreit sie los. »Es war ein Unfall. Aber wenn ich Mama wäre, dann würde ich mich fragen , was Kai in dieser schimmligen Absteige eigentlich zu suche n hatte. Ich habe ja nicht mal geahnt, dass er eine hatte. « Woher weiß sie dann, dass es dort schimmelig ist? Ich kan n mir nicht vorstellen, dass die Polizei das erwähnt hat .
»Kai hat dich dorthin bestellt, um einen Drogentest mit dir z u machen.« Es ist ein Schuss ins Blaue, aber wenn ich an all di e Methadonjunkies denke, die sich im Westend herumtreiben , kann ich mir nur zu gut vorstellen, wie es dazu kommen konnte, dass Kai sie erwischt hat.
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