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Prinzentod

Prinzentod

Titel: Prinzentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Gurian
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Auberginen, und ich frage mich, wie wohl der Sturmhimmel über Papas Schiff aussieht. Merkwürdig eigentlich, dass ich mich fühle, als wäre ich hilflos einem Sturm ausgesetzt. Dabei ist das Wetter sonnig und heiß und Papa, der weit weg von all dem Chaos ist, kämpft sich durch einen Sturm. »Kai«, flüstere ich. Obwohl ich inzwischen so viel mehr über ihn weiß, vermisse ich ihn furchtbar. Sein Humor, sein kluger Blick, sein Prinzenlächeln, das ist etwas, das mir niemand nehmen oder kaputt machen kann, nicht die Erinnerung daran. Jetzt blitzen erste Sterne auf und ich wünsche mir, ich wäre noch ein kleines Mädchen, wie damals als meine Mutter gestorben ist und Papa so getan hat, als würde Mama diese Sternenbeleuchtung für mich anzünden, einzig und allein, damit ich mich im Dunkeln nicht fürchten muss.
    Aber ich bin fast siebzehn Jahre alt und weiß, dass viele Sterne tot und erloschen sind, lange bevor wir ihr Licht aufschimmern sehen. Ich gehe in die Küche, fülle die Gießkanne mit Wasser und gieße die müde herabhängenden Balkonblumen. Das Wasser rinnt über die steinhart ausgetrocknete Erde, läuft über den Kasten und tropft an beiden Seiten herunter und da, ich weiß nicht, warum, in diesem Moment halte ich das alles nicht mehr aus, setze die Kanne ab und renne doch an meinen Computer, beseelt nur noch von einem einzigen Wunsch, wenigstens in den Mails Kai noch ein letzes Mal nahe zu sein. Ich fahre den Laptop hoch und klicke den Ordner »Vereinsabrechnungen« an, dort habe ich alle Mails von »Dein Prinz« gespeichert, und suche Kais erste, die allererste, die ich von ihm bekommen habe. Die hat er damals noch unter seinem richtigen Namen geschickt. Da ist sie, das Allerwunderschönste, was ich je gelesen habe. Die Vorstellung, wie Kai sich wohl diese Worte ausgedacht hat, nachdem wir uns das erste Mal gesehen haben, bringt mein Herz immer noch dazu, schneller zu schlagen, dabei habe ich sie schon so oft angeschaut, dass ich den Text beinahe auswendig kann. Er hat sie mir noch in der Nacht meines Einzuges geschickt:
    Lissie, ich schreibe dir, was mir durch den Kopf ging, nachdem wir uns heute im Treppenhaus getroffen haben, gleich nachdem du fortgerannt bist. Ich hoffe, du findest es nicht zu kitschig:
    Der heutige Tag war ein voller Becher, der heutige Tag war die gewaltige Welle, heute, das war die ganze Erde. Heute hob das stürmische Meer in einem Kuss uns so hoch, dass wir erzitterten im Licht des Blitzes und aneinandergefesselt abwärtsschossen, um unterzugehen, ohne uns loszulassen. Zwischen Du und ich ging eine Türe auf...
    Bitte, Lissie. Ich möchte dich wiedersehen, einfach nur, um ein Eis zusammen zu essen oder zu reden. Es wird nichts passieren, das du nicht willst...Ich verspreche es. Kai.
    Wenn ich das lese, sehne ich mich so nach ihm, dass mir das Atmen wehtut. Ich sehe sein lachendes Gesicht vor mir, fühle seine Hände an meinem Gesicht, seine warmen Lippen auf meinem Mund und plötzlich weiß ich wieder, dass es nicht ganz unrecht war, was wir getan haben. Jeder von uns allein hat zwar funktioniert, vielleicht so wie Wasserhähne funktionieren, aber wir beide zusammen waren mehr, ein ganzer Strom, zusammen waren wir lebendig. Tränen steigen mir in die Augen, aber diesmal weine ich nicht nur, weil Kai tot ist, sondern weil mir jetzt erst klar wird, was das bedeutet. Es gibt keinen Wasserfall mehr, nur ein Rinnsal, ohne ihn bin ich nur eine Pfütze, die nach und nach vertrocknen wird. Ein Nichts. Ich brauche seinen Kimono, muss mich wenigstens in seinen Duft einhüllen, sofort. Doch den, fällt mir ein, habe ich in die Waschmaschine gestopft, nachdem ich ihn der Diddlmaus ausgezogen habe. Ich stehe auf, um ins Bad hinüberzugehen, da sehe ich aus den Augenwinkeln heraus etwas Merkwürdiges in Kais Mail. Ich wische meine Augen trocken, vielleicht war es nur eine Spiegelung, dann beuge ich mich über den Computerbildschirm. Da steht noch etwas! Habe ich das all die Male, die ich seine Mails in mich aufgesogen habe, etwa übersehen? Nie im Leben! Ich setze mich und scrolle herunter.
    Da ist es! Jemand hat etwas hinzugefügt in einer anderen Schrift, damit ich es auch ja nicht übersehen kann:
    Kai hätte dir sagen sollen, dass das Gedicht noch weitergeht , das er so ungeniert von Pablo Neruda geklaut hat .
    Und jemand, noch ohne Gesicht , stand da und erwartete uns . Heute dehnten sich unsere Körper aus , wuchsen bis an die Grenzen der Wel t und rollten, verschmelzend, for t in

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