Prinzentod
Handtuch aus dem Regal und legt es mir über den Arm. »Los, jetzt!« Sie verschwindet aus dem Bad, ich ziehe mich aus, brauche ewig, obwohl ich ja nicht viel anhabe, doch ich bin immer noch so wackelig und müde, so müde. Als ich endlich unter der Dusche stehe und sich der Wasserdampf mit dem fruchtigen Duft des Duschgels vermischt, merke ich, wie ich etwas ruhiger werde. »Alles okay?«, ruft Vio von draußen. Merkwürdig, wie freundlich Vio sein kann. Es fühlt sich überhaupt nicht aufgesetzt an, sondern ganz ehrlich. »Ja, alles klar!«, antworte ich und shampooniere auch noch meine Haare. Und als ich den Kopf in den Nacken lege, sehe ich es. Wieder steht da etwas an der Wand: Opfer. Ich schließe sofort die Augen. Das meint nicht mich. Das geht mich gar nichts an. Opfer. Nein, das meint das Blut vielleicht, aber nicht mich. Ich bin kein Opfer. Ich lasse das nicht zu. Wer auch immer das glaubt, der irrt sich, und so matt ich mich auch fühle, in diesem Augenblick steigt wieder dieses Gefühl hoch, kämpfen zu wollen. Es ist nicht so, dass es mir sofort besser geht, aber Zorn ist allemal leichter zu ertragen als dieses hilflose Elend. Ab jetzt wird mir niemand mehr in die Quere kommen. Ich habe es so satt! Ja, ich habe einen Fehler gemacht. Aber ich kann doch nicht ewig dafür bestraft werden! Jeder macht Fehler. Mit viel mehr Energie steige ich aus der Dusche und rubbele meine Haut trocken. Ich muss einen Plan machen, muss mich geschickter anstellen, wenn ich etwas herausbekommen will, darf mich nicht immer nur von meiner Panik treiben lassen . Warum ist Violetta gerade jetzt hier aufgetaucht ? Ich lasse mein Handtuch sinken. Mann, bin ich blöd ! Natürlich, sie will an das Koks, wahrscheinlich ist sie doc h süchtig und Bernadette hat völlig recht: Sie lügt, wenn si e den Mund aufmacht. Andererseits war Vio gerade so freundlich. Das kam von Herzen. Und ich glaube sogar, sie hat sic h wirklich Sorgen um mich gemacht . Ich hole mir ein Shirt und kurze Hosen aus meinem Schran k und gehe nach draußen auf die Dachterrasse . Vio hat eine kalte Zitrone gemacht. »Das wird dir guttun. « Sie gibt mir ein Glas und nimmt sich selbst eins . Ich nehme einen Schluck. Sauer, schön sauer . »Und?«, sagt Vio . »Was und? « »Was wirst du jetzt machen? « »In jedem Fall werde ich rauskriegen, wer das war. Ich nehm e mal an, dass du nicht infrage kommst, oder? « Vio schüttelt ihre langen Haare. »Yuk. Abgesehen davon , dass ich zu faul wäre, so viel Blut hier hochzuschleppen, wäre mir wahrscheinlich schlecht geworden, wenn ich das Zeu g in die Waschmaschine gekippt hätte. « »Du suchst deinen Stoff, oder? « Sie sieht nicht mal verlegen aus. »Mein Freund... Sagen wi r mal, er wird unruhig. « »Warum redest du nicht mit Brigitte darüber? « Vio lacht bitter. »Hast du das noch nicht kapiert? Mama engagiert sich so für alles andere, dass sie nicht sehen will, wa s vor ihren Augen passiert. Sie kümmert sich lieber um obdachlose Kinder in Rio de Janeiro als um ihre eigenen. «
»Wie war das eigentlich damals, als dein richtiger Vater gestorben ist? Wie ging es deiner Mutter damals?« Vio nimmt einen langen Schluck. »Was interessiert dich das denn?«, fragt sie irritiert. Doch dann wird sie nachdenklich. »Komisch. Mir ist das bis jetzt noch gar nicht aufgefallen. Aber wo du fragst, fällt mir auf, dass sie mit Kais Tod viel gelassener umgeht als mit dem meines Vaters.« »Erinnerst du dich noch so genau daran?« »Ja.« Sie nickt. »Ich erinnere mich sogar ziemlich gut. Ich war gerade eingeschult worden und alle anderen Kinder wurden jeden Morgen von ihren Müttern in die Schule gebracht und mittags wieder abgeholt. Nach Papas Tod kam Anna, unser neues Kindermädchen. Und erst dann hat mich jemand zur Schule begleitet. Ich mochte sie, ich war froh darüber, dass sich endlich jemand um mich gekümmert hat, aber ich hatte trotzdem Angst, dass Mama auch in den Himmel fortgehen würde.« »Warum?« »Sie kam tagelang nicht aus ihrem Zimmer. Sie magerte immer mehr ab, ihre Augen waren ständig zugeschwollen. Heute denke ich, dass sie starke Medikamente bekam.« »Du warst erst sechs Jahre alt. Vielleicht kommt es dir heute nur dramatischer vor, als es in Wirklichkeit war?« »Nein, im Gegenteil, ich glaube, damals habe ich angefangen meine Liebe für das Theaterspielen zu entdecken. Komisch, dass ich darüber noch nie nachgedacht habe, aber so war es. Ich habe immer geglaubt, ich müsste Mama aufheitern. Sie zum
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