Prinzessin meines Herzens
gedacht. Niemals hätte sie damit gerechnet, in seinem Gefängnis zu landen. Hatte zu Hause schon jemand die Behörden verständigt? Kümmerte sich bereits jemand um ihre Befreiung? Oder würde sie bloß eine weitere vergessene Gefangene in einem feuchten Verlies in dieser alten Festung bleiben?
Als jetzt Schritte an ihr Ohr drangen, sprang Lily auf und umklammerte die Gitterstäbe. Angestrengt spähte sie in den dunklen Flur. Schließlich vernahm sie eine Stimme. Kurz darauf ertönte eine andere, die in forschem Ton nach Ruhe verlangte. Lily schluckte und wartete ab. Scheinbar eine halbe Ewigkeit später konnte sie einen Mann ausmachen. Es war jedoch zu dunkel, um sein Gesicht zu erkennen. Vor der Wand ihr gegenüber blieb der Mann stehen. Fahles Licht fiel durch einen Riss in der Mauer herein.
Der Prinz? Lily erschrak und spürte zugleich, wie ihr erneut Tränen in die Augen stiegen. Das konnte einfach nicht wahr sein! So grausam konnte es das Schicksal doch nicht mit ihr meinen!
Er sah genauso gut aus wie auf den Bildern in den Zeitungen – und wie in ihrer Erinnerung. Sein schwarzes Haar war jetzt kürzer. Offenbar wollte er seriöser wirken. Er trug eine dunkle Hose und ein offenes Seidenhemd über einem engen T-Shirt. Seine Augen waren eisblau. Und sein Gesicht war so fein geschnitten, als hätte es ein Künstler modelliert.
Hatte sie ihn damals beim Karneval in New Orleans tatsächlich für irgendeinen Studenten gehalten? Wie hatte sie bloß so naiv sein können? Es war unmöglich, diesen Mann für etwas anderes zu halten als das, was er war: Er war ein reicher privilegierter Prinz. Er war jemand, der sich im Gegensatz zu Lily selbst ausschließlich in den höchsten Kreisen bewegte – sie bekam schon Höhenangst, wenn sie nur daran dachte.
„Lassen Sie uns allein“, sagte er jetzt zu dem Mann, der ihn begleitete.
„Aber … Eure Hoheit, ich glaube nicht …“
„Vattene! Verschwinde!“
„Si. Natürlich, Eure Hoheit.“ Der Mann verneigte sich kurz und eilte davon.
Allmählich verhallten die Schritte. Sogleich wandte der Prinz sich an Lily, die den Atem anhielt. Er erklärte kühl: „Sie werden beschuldigt, Staatseigentum aus dem Fürstentum schmuggeln zu wollen.“
„Wie bitte?“ Lily hatte mit allem Möglichen gerechnet – nur nicht damit.
„Zwei kleine antike Figuren, signorina. Eine stellt einen Wolf dar, die andere eine Frau. Man hat sie in Ihrem Gepäck gefunden.“
„Das sind Souvenirs! Ich habe sie bei einem Straßenhändler gekauft.“
„Es sind unbezahlbare Schätze aus dem Kulturerbe unseres Landes. Man hat sie vor drei Monaten aus dem Museum entwendet.“
„Davon weiß ich nichts. Ich will nur nach Hause.“ Lily pochte das Blut in den Ohren. Es war alles so merkwürdig. Sowohl die Schuldzuweisung als auch die Tatsache, dass der Prinz sie nicht wiederzuerkennen schien.
Hatte er sich wirklich einmal stundenlang mit ihr unterhalten?
Unwillkürlich dachte sie daran, wie er mit ihr geschlafen hatte. Für sie war es das erste Mal gewesen. Voller Zärtlichkeit war er auf sie eingegangen, und sie hatte sich respektiert und geliebt gefühlt. Deshalb war es jetzt umso schmerzlicher, dass er sie nicht wiedererkannte.
Mit den Händen in den Hosentaschen kam er näher und musterte sie kalt. Seinem Gesichtsausdruck war nichts Positives zu entnehmen: kein Lächeln, keine Freundlichkeit. Seine Miene verriet nichts als Arroganz und Selbstgerechtigkeit – in einem Maße, das Lily erstaunte.
Ihre gemeinsamen Stunden waren offenbar nicht mehr als eine verblassende Erinnerung. Lily schlug die Augen nieder. Sie konnte den Prinzen nicht länger ansehen. Das lag nicht an seinem faszinierenden Äußeren. Es hatte vielmehr damit zu tun, dass er sie schmerzlich an ihr Kind erinnerte. Die ungeheure Ähnlichkeit zwischen den beiden fiel ihr erst jetzt auf, da sie ihm gegenüberstand.
„Ich fürchte, wir können Sie unmöglich gehen lassen.“
Abrupt hob Lily den Kopf. Wieder war sie den Tränen nah. Nein, sie durfte nicht weinen. „Ich … Ich muss aber nach Hause. Ich habe Verpflichtungen. Es gibt Menschen, die mich brauchen.“
Prinz Nico schaute sie forschend an. „Was für Menschen, signorina?“
Vor Schreck krampfte sich Lilys Magen zusammen. Sie konnte ihm nicht von Danny erzählen. Nicht jetzt, nicht unter diesen Umständen. „Meine Familie braucht mich. Meine Mutter ist auf mich angewiesen.“ Lily hatte sie seit über einem Jahr nicht mehr gesehen, aber das wusste Nico ja
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