Prinzessinnensöckchen (German Edition)
Mittagessen. »Sie wissen ja, meine Liebe, ich koche immer viel zu viel, seit Jan tot ist.« Jan war Frau Conradis Mann gewesen und nun schon wohl über zehn Jahre nicht mehr unter den Lebenden. »Aber das wäre doch nicht nötig«, wehrte Carmen halbherzig ab. Ihr Magen sagte etwas anderes und ob es wirklich Zufall war, dass sie zur Mittagszeit bei ihrer ehemaligen Vermieterin auftauchte, darüber wollte Carmen lieber nicht nachdenken.
»Aus Oberwied hört man ja schöne Geschichten«, begann sie, nachdem die Leberknödelsuppe gebührend gelobt und Frau Conradi auf den neuesten Stand in Carmens Berufs- und Liebesdingen gebracht worden war. »Sie wissen schon, der Mord vorgestern...«
Ursula Conradi bekreuzigte sich. »Mein Gott, ich darf gar nicht dran denken! Und über Tote soll man ja nichts Schlechtes reden.« Das war ein untrügliches Zeichen dafür, dass Frau Conradi gleich eine Menge Schlechtes über den verblichenen Rainer Pohland reden würde. Genau deshalb war Carmen ja nach Oberwied gefahren. Um ihre große Mörderstory mit ein paar Hintergrundinformationen über das Opfer aufzupeppen, wenn es schon über den Täter noch nichts zu berichten gab.
»Der Rainer also«, setzte Ursula Conradi an, »--- ich meine: dass einer dumm ist, dafür kann er vielleicht nichts. Aber dumm UND boshaft, das kann man nicht tolerieren.« Hier sprach die Witwe einer Postoberinspektors und sie sprach weiter. »Das Café hat seine Frau mit in die Ehe gebracht, die Elstner Kati, die Tochter vom Elstner Hermann, mit dem mein Jan noch im Krieg an der Ostfront gewesen ist, blutjung die beiden damals, ach. Der Hermann hat das Café von seinem Vater geerbt, der war hier schon Bäcker gewesen, aber die Bäckerei hat der Hermann in den Achtzigern zumachen müssen wegen diesen Großbäckereien mit ihrem Pappebrot. Eine Schande. Aber das Café lief prima und sogar der Rainer hat es nicht kaputt gekriegt, dafür hat die Kati gesorgt, immer fleißig, immer freundlich, zu lachen freilich hat sie bei dem Rainer bestimmt nichts gehabt, so boshaft wie der war und hinter jedem Rock her.«
»Haben die beiden Kinder?«, fragte Carmen. Frau Conradi lächelte so zweideutig wie sie nur konnte. »Offiziell kinderlos«, sagte sie schelmisch, »aber ich würde nicht ausschließen, dass der Rainer eine Menge Alimente hat zahlen müssen und die Kati davon gewusst hat, nur was soll sie machen? Sie konnte halt keine Kinder bekommen.«
Auch Ursula Conradis Ehe war kinderlos geblieben und Carmen befürchtete schon, die Frau mit ihrer Frage in die eigene traurige Biografie abgelenkt zu haben. Doch sie wischte mit der Hand durch die Luft, sagte »Na, was soll's, man braucht keine Kinder für eine glückliche Ehe« und ergänzte nach kurzer Überlegung: »Für eine unglückliche aber noch weniger.«
Wow, dachte Carmen, das war etwas, das würde man sich aufschreiben und auf Partys von sich geben können. Die weise Frau Conradi ließ es sich nicht nehmen, zum Nachtisch Kaffee und ein Stück Apfelkuchen, »aufgetaut, aber selber gebacken, meine Liebe«, aufzutischen. »Was ich dem Rainer vor allem übel nehme ist, wie er seine Angestellten behandelt hat. Übel, übel, sage ich Ihnen. Schlechte Bezahlung, Überstunden ohne Ende, wer nicht spurte, der flog raus. Das ist doch keine Art. Dann ist dem Wolff sein Bestattungsinstitut in finanzielle Schwierigkeiten geraten, na, weil der Wolff – also der ist jede Woche ins Casino, konnte ja nicht gut gehen, aber psssst, nicht verraten, dass Sie das von mir haben, ich kannte die Mutter von dem ganz gut. Jedenfalls: Der Pohland ist dann beim Wolff eingestiegen und das erste was er macht, das nennt er Lean Management und das bedeutet, er schmeißt den Volker Kemmerlich raus, der arbeitet dort schon seit dreißig Jahren und was soll der jetzt noch finden in seinem Alter.«
»Hm, dann hätten also einige ein Motiv«, schlussfolgerte Carmen und spülte das letzte Stück des vorzüglichen Apfelkuchens mit dem ebenfalls vorzüglichen Kaffee hinunter. »Kann man so sagen«, gab ihr Frau Conradi Recht. »Aber so etwas macht von denen doch niemand. Sind doch alles ordentliche Menschen.« »Und dann auch noch mit einem Söckchen«, kam es aus Carmen heraus, die sich sofort und zu spät die Hand auf den Mund schlug.
»Mit einem Söckchen?« Frau Conradi riss die Augen auf. »Mein liebes Kind, da wissen Sie aber mehr als ich. Erzählen Sie...«
*
Es hatte nicht viel zu erzählen gegeben, doch Frau Conradi würde von der
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