Prinzessinnensöckchen (German Edition)
Schluss machen. Melde mich dann. Versprochen, ja?«
Würde sie das wirklich tun? Langsam dämmerte ihr, dass sie wahrscheinlich die falschen Freunde besaß. Nette, lebenstüchtige junge Frauen und Männer, die in einer adretten, wohlgeordneten Welt aus Job und Fun lebten, was sich wie der Name eines Livestyle-Magazins anhörte. Und vielleicht sogar eines war. Sie hatte ein paar Jahre ihres Lebens damit verplempert, sich durch die Hochglanzseiten zu blättern, bis sie die Angst in den Augen einer Sechzehnjährigen gesehen hatte. War das so gewesen? Konnte man das so ausdrücken? Wäre sie tatsächlich eine gute Psychologin geworden, wie es ihr Kevin prophezeit hatte? Eher nicht, denn die stellten nicht so viele Fragen, die hörten bloß zu, nickten verständnisvoll und gaben Antworten. Ach, spielte keine Rolle.
Als sie das Café erreichte und Claras alten Fiat davor parken sah, waren solche Gedanken längst Geschichte. Gleich würde sie ihre Uniform anziehen, den züchtigen schwarzen Rock, der ihre Knie umspielte, die noch züchtigere weiße Rüschenbluse und die bequemen Slipper. Und dann, damit man auch sah, wer und was sie war, die weiße Schürze mit dem Café-Logo und dem Schriftzug »Alt-Oberwied«. Wie bei den Prinzessinnensöckchen, fiel ihr ein, auch die waren so etwas wie eine Uniform. Die Uniform einer Dienstleisterin. Der Gedanke kam düster, bedrohlich in ihr hoch und weigerte sich zu gehen. Sie musste handeln.
Das Freitagsfrühstückskränzchen, wie Clara ihr mit hochgezogenen Augenbrauen zugeraunt hatte, tagte kichernd und mit der Akustik eines munter-gemütlichen Wasserfalls. Fünf Damen jenseits der Ruhestandsgrenze. Und sah eine von ihnen nicht aus wie Kevins Frau Mama? Schwer zu sagen, denn sie sahen irgendwie alle gleich aus. Die Generation Rente und Fun.
Gegen zehn waren alle Plätze im »Alt-Oberwied« besetzt. Carmen und Clara bedienten gleichzeitig, Joey zapfte Kaffee und stellte die gewünschten Frühstücksvarianten zusammen. Den Knaben hatte sie gestern Abend in der Innenstadt abgesetzt und war froh gewesen, ihn los zu sein. Wie er sie von der Seite gemustert hatte, die dünnen Lippen zu einem abschätzenden und abschätzigen Lächeln verzogen. Vielleicht der typische Reflex von Männern jedweden Alters auf autofahrende Frauen, noch dazu wenn die Kupplung bei jeder Betätigung gefährlich ächzte und aufschrie? Glaubte sie nicht. »Friedvollen Feierabend«, hatte er zum Abschied gegrinst und dabei lässig die rechte Hand gehoben. Friedvoll? Was für ein Vokabular benutzte der denn?
Kurz vor elf streckte Kati Pohland den Kopf in den Gastraum, sagte den Angestellten, sie sei bis Mittag unterwegs und fragte, ob alles in Ordnung sei. Bevor jemand antworten konnte, war der Kopf auch schon wieder verschwunden. Allmählich leerte sich das Café. »Fünf alte Tanten mit anständigen Renten und insgesamt einsachtzig Trinkgeld«, schimpfte Clara flüsternd und wünschte im nächsten Moment den Damen überschwänglich einen guten Tag.
»Puh«, machte Carmen, überblickte den Raum, in dem noch ganze drei Gäste an ihrem späten Frühstück herumkauten. »Ich bin mal fünf Minuten weg« und wies Richtung Toilette. Die sie aber nicht ansteuerte. Raus auf den Flur, zur Bürotür, die Klinke gedrückt. War offen. Glück gehabt.
Der Rechner war runtergefahren worden und Carmen hatte nicht die Zeit, dies zu ändern. Fünf Minuten gab sie sich, höchstens sieben. Blieben also die beiden Aktenordner, die prall auf Katis Schreibtisch lagen. Im ersten waren Kontoauszüge und Listen abgeheftet worden. Nichts als Zahlen. Während ihres Studiums hatte Carmen sogar gelernt, wie man Bilanzen fälschen konnte, ohne dass es auffiel. Nicht dass sie es interessiert hätte. Aber Kolonnen mit großen Zahlen waren ihr seitdem kein Graus mehr, und diese Zahlen in Pohlands Büchern waren groß, sehr groß, viel zu groß.
Sie nahm ihr Handy aus der Schürzentasche und begann einige der Auszüge und Listen zu fotografieren. War sie jetzt so eine Art Spionin? Nein, die verfügten über besseres Equipment. Aber würde für die Not schon reichen.
Als sie den zweiten Ordner aufklappte, stieß sie unwillkürlich einen Pfiff aus. Ein Katasterblatt von Oberwied begrüßte sie, auf das mit Rotstift Kreuze eingezeichnet waren. Rasch durchzählen, es waren elf. Das Café konnte sie identifizieren, auch das Bestattungsinstitut. Und, sie hielt den Atem an, das Haus von Louise Schmitz. Hatte Kevin also doch Unrecht, wenn er glaubte,
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