Privatklinik
versicherten, daß man alles tun werde und waren sich hinterher einig, daß alles, was aus der Klapsmühle kam, nicht ganz klar im Kopf war. Vom Chef angefangen bis zum letzten Pfleger. So was färbt ab, hieß es.
Aber Lucie Kellermann wurde gerettet. Als Andenken an Peter Kaul behielt sie eine aufgemeißelte Hirnschale.
Am nächsten Morgen stand Judo-Fritze an Kauls Bett und starrte mißmutig in das bleiche, unrasierte, zuckende, würgende Gesicht des noch halb Betrunkenen.
»Erschlag mich doch, du Feigling!« schrie Peter Kaul. »Warum stehst du herum wie ein kastrierter Elefant? Schlag zu. Heb die Faust und 'rauf auf den Kopf. Er zerspringt wie Glas, ich verspreche es dir … du hast keine Mühe, er zerspringt.«
Judo-Fritze schob die dicke Unterlippe vor.
»Du hättest die Pulle weglassen sollen, Junge«, sagte er dumpf. »Das war das einzige Falsche an der ganzen Sache. Warum denn saufen, Peter? Ist das denn immer der letzte Ausweg? Was haste denn bei den Anonymen Alkoholikern gelernt? Darüber sprechen, mit sich, mit anderen, ist wichtiger als sich zu betäuben. Und was tust du? Du säufst. Du Rindvieh!«
»Ich habe Lucie –«
Judo-Fritze hob die Riesenhand und wischte die Worte von Kauls Lippen. »Erzähl mir nichts, Junge.« Sein Kopf sank herab. »Ich habe sie geliebt, und ich liebe sie noch immer. Ich komme nicht von ihr los. Sie ist ein Aas … immer und überall ein Aas, aber vor allem nachts, im Bett. Da ist sie ein Luder … aber ich brauche diese Frau. Sie war die einzige, die mich ertragen konnte.« Er setzte sich auf die Bettkante und weinte plötzlich.
Peter Kaul hielt den Atem an und schloß die Augen.
Das ist nicht möglich, dachte er. Ich bin nicht mehr auf dieser Welt. Ich bin in einem Zauberland, wo selbst die Träume unwahr und phantastisch sind.
Er weint …
Können Felsen weinen? Kann ein Monstrum schluchzen?
Er preßte die Hände gegen die Ohren, um es nicht zu hören.
Fritz Kellermann weint! Die Welt ist wahrlich noch voller Wunder und Unbegreiflichkeiten.
In einem bisher leerstehenden Kellergewölbe von Schloß Bornfeld, einem Kreuzgewölbe mit dicken Säulen und mächtigen Deckenbögen, kleinen Fenstern und meterbreiten Mauern und behaftet mit dem Modergeruch der Jahrhunderte richtete Diakon Weigel mit Hilfe Brigitte Lindens und Oberarzt Dr. Krügers so etwas wie eine Anatomie ein.
Ein Tisch mit dicker Marmorplatte und Blutauffangrinne wurde ausgeladen, was Prof. Heitzner zum Anlaß nahm, einen Vortrag über die Menschenopfer der Azteken auf der Tempelpyramide von Tenochtitlan zu halten. Dann folgten weiß emaillierte Instrumentenschränke und eine Reihe von Käfigen, teils mit Drahtgittern, teils aber auch mit festen Eisengittern.
Dr. Linden bemerkte das alles nicht. Er lag im Bett und hatte darum gebeten, ihn unter Narkose zu halten. Diakon Weigel hatte diesem Wunsch entsprochen. Die Krise war wieder akut geworden. Die Rettung des Heidebauern Jons Briddeck sollte nicht zum erneuten Zusammenbruch Dr. Lindens führen. Der Weg dazu war durch das eine Glas Alkohol wieder aufgerissen worden, die mühsam aufgebauten Mauern aus Selbsterkenntnis und eigener Kraftentfaltung lagen zerstört darnieder, der ›Heilfaktor Oberon‹ stand wieder im Stall und kaute Hafer und Rüben. Dr. Linden aber hatte nach der Operation, als ein Krankenwagen den Bauern in die Stadt fuhr, sich noch drei Gläser eingegossen und getrunken. Niemand, weder Diakon Weigel noch Brigitte, wagte es, ihn daran zu hindern. Sie sahen, daß er es brauchte. Sie beobachteten zwischen Hilflosigkeit und Erschütterung, wie die Müdigkeit nach der Operation aus Lindens Körper gespült wurde und er mit glänzenden Augen, ohne die geringste Erschöpfungserscheinung, zurück nach Schloß Bornfeld fuhr und dort die ›Siegesfeier‹ überstand. Er plauderte, er verströmte Charme und Witz, er faszinierte und riß mit. Er war wieder der große Dr. Linden. Nur in seinen weiten, starren Pupillen erkannte man seine tragische Besessenheit.
Am nächsten Morgen, an der Seite Brigittes liegend, folgte der Zusammenbruch. Zwangsläufig und erwartet. Er bettelte um ein neues Glas, er erbrach sich, als man es ihm verweigerte, er krümmte sich in Magenkrämpfen und wimmerte wie ein Verurteilter um sein Leben. Erst gegen Mittag beruhigte er sich, lag in Schweiß gebadet auf dem Bett und sagte tonlos:
»Gitte … wenn du mich liebst … wenn du mich wirklich liebst … besorge zehn Amphiolen Morphin … injizieren will ich sie mir
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