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Privatklinik

Privatklinik

Titel: Privatklinik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Gedanke an den Endpunkt seiner Flucht verlieh ihm alle Energie.
    Er wollte nach Hause.

3
    Drei Stunden lief Peter Kaul durch Essen. Ab und zu begegnete er einem späten Heimkehrer, einmal einem Straßenfeger, der mit dem Rad zum Dienst fuhr, zweimal Bäckergehilfen, den frühesten Arbeitern in einem geordneten Gemeinwesen. Dann drückte er sich jedesmal in den Schatten einer Haustür oder auch nur an die Häuserwand, aber er wurde trotzdem bemerkt und doch übersehen.
    Ein Mann in einem gestreiften Schlafanzug, was ist das schon? In einer Großstadt laufen wunderlichere Geschöpfe herum. Man sah kurz zu ihm hin und fuhr oder ging weiter.
    Peter Kaul atmete jedesmal auf und lief weiter. Er wußte nicht, was er tun würde, wenn man ihn ansprechen würde, wenn man versuchte, ihn festzuhalten. Um sich schlagen, ja, das würde er, sich wehren, lautlos, verbissen, mit der ganzen Kraft, die ihm noch geblieben war, und er war kein Schwächling, er hatte auf dem Bau gearbeitet, unter Tage, auf Montage an hohen Masten und Häusern. Er besaß Muskeln, die noch nicht vom Alkohol aufgeweicht waren, aber er hatte sie bisher nie gebraucht, um für sich zu kämpfen, um sie gegen einen anderen Menschen zu spannen. Vielleicht würde ich sogar einen totschlagen, wenn er mich jetzt festhalten würde, dachte er und lief weiter, immer die belebten, beleuchteten Viertel der Stadt umgehend und auf Seitenstraßen und großen Bögen und Umwegen die Richtung zur Wohnkolonie suchend. Bei Gott, ich könnte einen umbringen! Ich lasse mich nicht wieder einfangen. Ich gehe nicht mehr zurück in die Landesheilanstalt! Und das erste, was ich tun werde, wenn ich wieder zu Hause bin, ist, diesen Schlafanzug zu zerreißen, diesen widerlichen halbleinenen Sack, mit dem Monogramm LHA auf der Brust. Diese Uniform der Ausgestoßenen, Vergessenen, Höllensöhne! Diese lebende Reklame: Kommt zu uns, und ihr werdet verstehen, was es heißt: Laßt alle Hoffnung fahren …
    Je näher er dem Wohnviertel kam, um so schneller, um so trabender wurde sein Schritt. Jetzt schlich er nicht mehr an den Häuserwänden entlang … er lief mitten auf dem Bürgersteig, die Arme angewinkelt, den Kopf in den Nacken geworfen, die Augen gegen den fahlen Nachthimmel gerichtet, der schon von der bleichen Ahnung des Morgens überdämmert wurde. Wie ein trainierender Langstreckenläufer sah er aus, und seine Beine warfen die Meter in der gleichen rhythmischen Gleichförmigkeit hinter sich, wie es ein guter Läufer vollbringt. Von weitem sah er das einzige, vier Stockwerke hohe Haus der Wohnkolonie gegen den Himmel stehen. Sie nannten es das ›Hochhaus‹, und in ihm war unten der große Laden des Konsums, eine Annahme für Reinigung und Benzinbad, ein Textilgeschäft, vor dem die Kinder standen und die Büstenhalter auf den naturgetreuen Puppenbusen bewunderten, und dann kamen einige Büroräume darüber, ein Arzt, eine Hebamme, die hier in der Kolonie eine Lebensaufgabe übernommen hatte, ein Großhandlung für Süßwaren und Wirtebedarf und dann vier Etagen Wohnungen.
    Zu Hause, hämmerte es in ihm. Zu Hause! Noch ein paar hundert Meter, noch zweimal um einen Block, dann vorbei an der Kirche, am Pfarrhaus …
    Sein Laufschritt kam aus dem Rhythmus.
    Der Pfarrer, dachte er und blieb plötzlich stehen, lehnte sich an eine Hauswand. Verdammt noch mal – warum hatte sich der Pfarrer nicht um ihn gekümmert? Er hatte doch mitgesoffen, verflucht und zugenäht, er war es doch, der ihm den Alkohol eingepumpt hatte, und als dann Susanne mit dem blöden Kind anfing, als sie sagte, daß Gundula, dieses Engelchen, ein lebensuntüchtiges Säuferkind sei, da war er weggelaufen, um diesem Mistleben ein Ende zu machen. Und dann die Ruhr, der tote Fisch mit dem silbernen Leib, das kalte Wasser, die Polizei, die Anstalt, Judo-Fritze, der Bettnachbar aus Berlin, dieses warme Schwein, die Hölle … Und wer hatte sie aufgerissen, diese Hölle? Der Pfarrer!
    Peter Kaul atmete heftig und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß vom Gesicht. Hinein, dachte er. Junge, geh hinein und schrei ihn an: Ist das Gottes Wille? mußt du schreien. Herr Pfarrer Merckel, Sie versoffener Hund, ist das Nächstenliebe? Warum haben Sie mich nicht herausgeholt aus der Anstalt? Warum haben Sie geschwiegen? Warum haben Sie nicht zu Professor Brosius gesagt: Herr Professor, ich habe mit ihm gesoffen, bis er nicht mehr stehen konnte. Ich wußte, daß er ein Alkoholiker ist, und trotzdem habe ich ihm … eine Flasche,

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