Privatklinik
Fieber, dachte er erschrocken. Ich glühe. Das Zimmer dreht sich vor mir.
Petra kam herein. Artig, wie einstudiert, machte sie einen Knicks. »Guten Tag, Papi!« sagte sie mit ihrer hellen Stimme.
Peter Kaul nickte. Wasser, dachte er. Eine Wanne voll Wasser. Ich möchte mich in sie hineinwühlen wie ein Seehund. Ich glühe. Ich glühe.
Und dann kam Susanne. Sie wurde von dem Fleischberg Judo-Fritze ins Zimmer geschoben. Er drückte sie vor sich her, und da er dazu seine Hände auf ihre Hüften legte, hatte er einen hochroten Kopf bekommen und atmete wie ein Asthmatiker.
»Peterle …«, sagte Susanne leise und hob die Arme.
Peter Kaul starrte seine Frau an. Sie hatte in der Nacht ihre Haare aufgedreht (das Geld für den Friseur war nicht vorhanden), nun umwehten blonde Locken ihr schmales, verhärmtes Gesicht, das sie mit etwas Puder und Rouge in die Maske frischen Lebens umgewandelt hatte.
»Wie … wie schön du bist«, sagte Peter Kaul gepreßt. »Guten Tag, Susi …«
Er kam auf sie zu, aber einen Meter vor ihr blieb er stehen und sah sie wieder an.
»Du bist schmaler geworden. Aber es steht dir gut, Susi.« Er schluckte und legte seine Hände auf den Rücken, weil er nicht wußte, was er mit ihnen anfangen sollte. »Früher, die vielen Kartoffeln, die Milchsuppen, die schwemmten auf. Jetzt kannst du dir ab und zu ein Stück Fleisch gönnen, nicht wahr?«
»Ich würde Kartoffelschalen essen, wenn du wieder bei uns wärst, Peter …«
Judo-Fritze hielt es für angebracht, jetzt zu gehen. Er nahm Heinz und Petra an seine mächtigen Hände und nickte Kaul zu. »Ich zeig' den Kindern 'n paar Fotos aus meinem Urlaub im Schwarzwald!« sagte er. »Fünfzehn Minuten, du weißt ja!« Er sah auf den Rücken Susannes, auf ihre Hüften, auf die Beine und leckte sich über die Lippen. »Ich klopf nachher dreimal an …«
Gehorsam folgten ihm Heinz und Petra. Sie fragten nicht, sie wehrten sich nicht, ein Krankenhaus war für sie ein Ort, wo man nur flüstern durfte, auf Zehenspitzen ging und die Männer und Frauen in den weißen Kitteln immer recht hatten.
Peter Kaul blieb stehen wie ein eingerammter Pflock. Schweiß trat auf seine Stirn … Susanne kam zu ihm, klappte die Handtasche auf, nahm ein Taschentuch und wischte ihm über das Gesicht.
»Was meint er mit fünfzehn Minuten, Peterle?« fragte sie dabei. Kaul schluckte und schnaufte durch die Nase.
»Nichts!« Dann umfaßte er seine Frau, ganz vorsichtig, als sei sie aus dünnem Glas, küßte sie und lehnte den Kopf wortlos an ihre Schulter. Er wagte nicht, die Hand auf ihre Brust zu legen, er spürte den Druck an seiner Schulter, durch den Anstaltsschlafanzug hindurch empfand er die Muster der Spitze im oberen Teil des Büstenhalters. Er ist weiß, dachte er. Ich kenne ihn. In der Mitte, dort, wo er sich teilt in die beiden Körbchen, ist eine lächerliche kleine gelbe Rose aus Perlontüll. Drei Haken hat er am Rücken. Wie oft habe ich ihn auf- und zugehakt! Jetzt wird es Petra tun mit ihren kleinen, spitzen Fingern.
»Warum will er dreimal anklopfen?« fragte Susanne wieder.
Kaul stöhnte leise auf. »Frag nicht, Susi. Er … er ist ein Schwein …«
»Wieso?«
»Er ist gegangen, damit wir … wir …« Er riß sich aus ihrer Umarmung los, breitete wie ein Erstickender die Arme weit aus und rannte ans Fenster. »Es ist so furchtbar, Susi. So erniedrigend! Man will hier Menschen aus uns machen, und man wird entlassen mit dem ausgebildeten Instinkt eines Tieres!«
Susanne blickte auf das aufgeschlagene Bett. Sie verstand ihn plötzlich. Mit steifen Beinen ging sie zum Bett, blieb vor ihm stehen und legte beide Hände gegen die Brust. Er ist mein Mann, dachte sie. Ich liebe ihn. Trotz allem. Er ist der Vater meiner Kinder, auch wenn eines blöde ist und ein Trinkerkretin.
»Wenn … wenn du darauf gewartet hast …«, sagte sie leise.
Peter Kaul schüttelte den Kopf. Er hatte das Fenster aufgerissen und drückte die Stirn gegen das Eisengitter. Unten, auf dem Platz vor dem Haus, an der Mauerpforte zum Frauenteil, stand Dr. Linden und sprach mit einem Wärter und einer Krankenschwester aus der Frauenabteilung.
»Nein, Susi, nein! Ich müßte mich hinterher anspucken!«
»Aber ich liebe dich doch …«
»Ich weiß! Sprich nicht mehr davon! Geh von dem Bett weg. Sag irgend etwas anderes, etwas Dummes, Banales, Idiotisches. Nur sag was anderes …«
Susanne ging quer durch das Zimmer und setzte sich an den weißlackierten Holztisch an der Wand. Sie
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