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Privatklinik

Privatklinik

Titel: Privatklinik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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fünfunddreißig Meter? Fünfhundertdreißig Kilometer? Es war das gleiche.
    »Die Zeit ist 'rum!« sagte Fritze dumm. »Was ist denn los?«
    »Nichts!« antwortete Peter Kaul dumpf. »Gar nichts. Wir sind glücklich, das ist alles …«
    Judo-Fritze schielte zu Susanne.
    Sie weinte lautlos, das Taschentuch gegen den Mund gedrückt. Blöder Hund, dachte er. Solch eine Frau sitzenzulassen! Aber so ist es bei den Säufern … sie reden von erotischen Exzessen, aber in Wirklichkeit haben sie sich impotent gesoffen! Ihr Zwischenhirnzentrum ist vom Alkohol zerstört. Impotentia coeundi, nennen die Ärzte so etwas.
    Heinz und Petra kamen ins Zimmer, bevor Judo-Fritze weitere eindringliche Fragen stellen konnte. Peter Kaul umarmte seine Kinder, er küßte sie, er ließ sich von der Schule erzählen, von ihren kleinen Nöten, von Langeoog im kommenden Sommer, von den Lehrern, von den Straßenspielkameraden. Die kleine graue Welt der Wohnkolonie stand wieder vor ihm auf. Ja, so war es einmal. Und so würde es wieder sein, wenn er entlassen wurde.
    Susanne fing einen Blick und einen Wink Judo-Fritzes auf. Sie nickte unter Tränen.
    »Es ist Zeit, Peterle …«, sagte sie kläglich.
    »Schon?« Kaul sprang auf und drückte die Kinder an sich. So wenig es zwischen ihm und Susanne zu sagen gab, so sehr empfand er Freude an den Worten seiner Kinder. Für sie war er krank, ein armer Papi, der im Bett liegen mußte. Zwischen ihnen und ihm war keine gläserne Wand, kein Schuldgefühl, das wie Fesseln wirkte, ein stummer Blick, aus dem die Anklage oder das Mitleid troff.
    »Ihr … ihr kommt doch wieder?« fragte er und streichelte die Köpfe seiner Kinder.
    »Nächste Woche, Donnerstag«, sagte Fritze.
    »Das ist schön!«
    »Freust du dich?« fragte Susanne ganz klein.
    »Ja. Das weißt du doch, Susi …«
    Wie weit sie ist, dachte er. Ich sollte schreien, sonst hört sie mich nicht!
    Er ging bis hinaus auf den Flur, sah den Kinderwagen mit Gundula und beugte sich über sie. Ihre großen schönen Augen strahlten ihn an. Sie hielt ihm eines der angenagten Klötzchen entgegen und kreischte wie ein Papagei.
    »Sie soll auch noch einmal untersucht werden«, sagte Susanne leise. Kaul sah auf …
    »Warum?«
    »Es gibt da neue Präparate, die die Nerven stärken und die Zellen anregen. Ich kenne mich da nicht aus …«
    »Wer sagt das?«
    »Doktor Linden.«
    »Ach der!« Kaul nickte. »Der kann was. Es wäre schön, wenn es ihm gelänge …«
    »Ja, es wäre schön.«
    Dann gingen sie. Peter Kaul blieb an der Tür seines Zimmers stehen und winkte ihnen nach. An der Glastür blieben sie stehen, und sie lachten, weil es sich so gehört, zur Aufheiterung des Zurückbleibenden fröhlich zu sein. Dann pendelte die Glastür zu, er sah die schemenhaften Schatten der Körper … den Riesen Fritze, die zarte Linie Susannes, einen Fleck, das war der Kinderwagen mit Gundula, zwei hüpfende Punkte, Heinz und Petra. Schatten, die sich auflösten …
    Da rannte er zurück ins Zimmer, stürzte ans Fenster und starrte durch die Gitterstäbe hinaus. »Kommt wieder …«, stammelte er. »Susi, komm wieder … ich habe doch nichts, nichts mehr als euch auf der Welt …«
    Er schrak zusammen. Hinter ihm knallte die Tür. Judo-Fritze stand im Zimmer und zeigte auf das unberührte Bett.
    »Idiot!« sagte er laut und geringschätzig.
    Peter Kaul schüttelte den Kopf. »Ich … ich habe sie zu lieb dazu«, sagte er leise.
    Am nächsten Tag hatte Prof. Brosius seine beiden Oberärzte um sich versammelt. Einem großen Ereignis ging eine kleine Besprechung voraus. Brosius hatte Zigarren herumgereicht, was bewies, wie wichtig er diese Besprechung nahm.
    »Meine Herren«, sagte er dann auch ohne Einleitung, »wir bekommen heute einen, wie soll ich sagen, einen höchst amüsanten Besuch. Drei ehemalige Alkoholiker kommen zu uns. Sie sind eine Abordnung einer Art Vereinigung, die aus Amerika zu uns herübergekommen ist, um unser Europa mit Segnungen zu beschenken wie etwa Care-Pakete oder Marshall-Plan. Sie nennen sich ›Alcoholics Anonymous‹, also Anonyme Alkoholiker, eine Vereinigung, die in Amerika über zweihunderttausend Mitglieder hat, die samt und sonders geheilte Säufer sind! Ich sehe, meine Herren, Sie staunen! Ich tat es auch, als ich die Ziele und Methoden dieser Herren und Damen erklärt bekam, und ich muß sagen: Als nüchtern denkender Wissenschaftler« – das Wort floß ihm aus dem Mund wie Eiercognac – »nähre ich eine Skepsis, die berechtigt

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