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Privatklinik

Privatklinik

Titel: Privatklinik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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lächerlich. Hier sitzen ihnen abgebrühte Jungs gegenüber. Die verkaufen ihre Mutter für ein Glas Schnaps.
    Der eine der Männer, der sich Hans S. genannt hatte, blieb stehen. Er knöpfte sein Hemd auf, zog das Unterhemd hoch und zeigte eine große rote Narbe zwischen Magen und Bauch.
    »Seht ihr diese Narbe?« fragte er. Seine Stimme war ganz ruhig, gar nicht pastoral, sie hatte einen Plauderton, so, wie man Geschichten erzählt, aus dem Krieg, von einer Reise, über ein Erlebnis mit Frauen. Die elf Säufer nickten beifällig. Tolles Ding das.
    »Diese Narbe erhielt ich bei einer Messerstecherei in München. Ich war betrunken, und der, der mir das Messer in den Leib rannte, war auch betrunken. Und gestritten haben wir uns um ein Mädchen, das vor uns lag, denn es war auch betrunken. Wir waren alle betrunken, ich war ein stadtbekannter Säufer, ich brauchte am Tag meine vier Flaschen Wein, um überhaupt gehen zu können. Ohne Alkohol war ich wie gelähmt. Angefangen habe ich mit dem Trinken, als ich zwanzig Jahre war. Als Student. Jawohl, ich habe studiert. Philosophie. Literaturgeschichte. Germanistik. Kunsthistorik. Ich habe meine Examina gemacht … aber immer war ich besoffen. Ich hatte einfach Angst, es nicht zu schaffen, denn alle, die mich kannten, sagten zu mir: Du bist ein dummer Mensch. Du hast nur Glück, wenn du so durch die Schulen rutschst. Du bist ein Döfchen! – Sie sagten es so lange, bis ich davon überzeugt war. Und da trank ich, denn wenn ich betrunken war, fühlte ich mich stark, konnte ich etwas, war ich ein Heros! Und so ging es abwärts mit mir. Ich verlor meine Stellung wegen Trunkenheit, ich flog aus allen Zimmern, ich übernachtete im Obdachlosenasyl, bei der Heilsarmee, am Stadtrand in Scheunen und Heuschobern. Ich wusch mich nicht mehr, ich stank wie ein Ziegenbock, ich magerte ab … aber immer hatte ich soviel, daß ich saufen konnte. Dann war ich glücklich.«
    »Bravo!« rief der Berliner.
    »Eines Tages fiel ich um. Mitten auf der Straße, auf der Kaufingerstraße. Passanten schleiften mich in ein Textilgeschäft, dort holten sie mich ab … nicht die Polizei oder die Feuerwehr, kein Krankenwagen oder die Lumpensammler der Behörden, sondern ein eleganter Herr kam in die Hinterstube des Geschäftes, sah mich an, sagte: ›Ich heiße Hubert N. und bin Alkoholiker!‹, ließ mich in seinen Wagen tragen und fuhr mit mir in sein Haus. Es war eine Villa in Bogenhausen. Hier lag ich eine Woche, ich schrie nach Schnaps und bekam Orangensaft. Ich spuckte ihn an die Decke, aber der feine Herr lachte nur und erzählte mir, daß er auch einmal so weit gewesen war wie ich und daß ihn allein das Bewußtsein geheilt habe, daß die Welt groß genug ist, um auch ihn etwas werden zu lassen. Das machte mich nachdenklich. Nach einer Woche hatte ich keinen Durst nach Schnaps mehr, ich spürte, wie die Fruchtsäfte mir gut taten. Ich aß wieder gut, ich bekam neue Kleidung, ich wurde mitgenommen und einigen anderen Herren vorgestellt. Und dann bekam ich eine Chance: Ich wurde in einer Zeitungsredaktion angestellt. Als Bote erst, dann im Archiv, später als Redakteur, der Meldungen sammelte. Ich bekam ein schönes Zimmer, ich lernte ein Mädchen kennen, es war Buchhalterin in dem gleichen Betrieb wie ich, wir wurden glücklich … und immer sagte ich mir vor: Das alles ist mit einem Schlag vorbei, wenn du wieder trinkst! Nur einen einzigen Schluck! Dann liegst du wieder in der Gosse, dann pennst du wieder im Asyl. Der Gedanke daran machte mir übel. Ich hatte das Leben lieben gelernt, ich hatte eine Arbeit, ich hatte ein Mädchen, ich sah, wie ich vorankam, und niemand sagte zu mir: Du bist ein Döfchen! Nein! Ich erkannte, daß ich intelligent war und aufstieg im Beruf. Heute bin ich selber Verleger, habe sechzig Angestellte, habe eine liebe Frau und vier Kinder … und alles nur, weil ich nie mehr einen Tropfen Alkohol trinke.«
    Herr Hans S. schwieg.
    Im Zimmer siebzig lag eine miefige Stille. Der Rechtsanwalt Dr. Faßbender schluchzte, der Berliner kaute an der Unterlippe, ein anderer, den man ›das Pferdegesicht‹ nannte, weil er die Zähne bleckte, wenn die Mahlzeiten ausgeteilt wurden, hatte den Kopf in beide Hände gestützt.
    Prof. Brosius saß wie erstarrt. So etwas, dachte er. Nein, so etwas! Das ist besser als jedes Sedativ! Das ist eine Injektion direkt ins Herz!
    Nachdem Herr S. sich gesetzt hatte, stand Herr Ludwig M. auf. Auch er begann mit »Ich bin ein Alkoholiker« und erzählte

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