Privatklinik
hinab und wußte, daß er mit jedem Schritt die Krankheit von Peter Kaul wegtrug.
Und das machte ihn fast fröhlich.
Der Cäcilienbunker ist ein Überbleibsel aus jener Zeit, in der die Deutschen glaubten, eine Laus sei stärker als ein Elefant. Das war noch gar nicht so lange her, die Betonflure und die Betonzimmer waren noch nicht verfallen, sondern nur muffig und feucht, die Riegel der Eisentüren etwas angerostet, der Boden glitschig.
Bei der allgemeinen Sprengung der Bunker hatte man diesen Luftschutzraum vergessen, ob bewußt oder unbewußt, war nicht mehr festzustellen. Vielleicht hatte es einmal einen Mann gegeben, der nicht daran glaubte, daß Deutschland keine Luftschutzbunker mehr brauchte und nun der ewige Friede ausgebrochen sei, und der sich sagte, was man hat, das hat man … sprengen und später neu bauen ist Idiotie und kostet nur unser sauer verdientes Geld. Er ließ den Eingang zuschütten, und fertig war die Abrüstung. Nun, in diesen Jahren des Aufbaues, wo es trotz fünfundfünfzig Millionen Toten in einem einzigen Krieg wieder Marschmusik gab, die Uniform wieder zum Ehrenkleid wurde, Panzer herumrollten, die Truppen neue Fahnen bekamen (denn die Fahne ist mehr als der Tod! Solchen Geist muß man behalten), der Blick nach Osten die Augen stählte und die Kinne vorschob, die Deutschen wieder begannen, Bunker zu bauen und Merkheftchen herausgaben: ›Beim Fall einer Atombombe lege man sich auf die Erde und decke seine Aktentasche über den Kopf …‹ (Leute, kauft mehr Aktentaschen! Die Japaner in Hiroshima hatten keine Aktentaschen, darum verglühten sie zu Asche!), als die Zeit also wieder begann, ›groß‹ zu werden und das Heroische im Volk als Neuzüchtung gepflegt wurde (man sollte Walther Flex lesen: ›Offiziersdienst heißt, seinen Leuten vorleben. Das Vorsterben ist dann nur ein Teil davon‹ … Hurra!), als Fertigbunker angeboten wurden (neben dem Volkswagen jedem seinen Volksbunker, komplett, für lange Wartezeiten ausgerüstet mit ›Mensch, ärgere dich nicht‹!), kurzum, in der Zeit endlicher deutscher Demokratisierung nach preußischem Geist führte der Cäcilienbunker noch immer ein Dornröschendasein und war nur der Polizei bekannt als Treffpunkt der Trinker, Homosexuellen, Dirnen, Zuhälter und Untergetauchten. Und zu diesem Zweck sprengte man ihn auch nicht, sondern ließ ihn illegal offen als riesige Mausefalle der Justiz.
In Abständen von einer Woche erfolgten Razzien der Polizei. Die Bewohner des Bunkers ließen sich nicht stören – sie waren registriert. Die neuen Bewohner allerdings huschten wie die Ratten durch die Gänge davon, wenn vom Eingang her der Warnruf tönte: Polente! Dann jagten sie durch einen unbekannten Gang, der im Hauptkanal der Stadt endete … eine Atmosphäre fäkaler Romantik, der sich keiner entziehen konnte, der sie einmal eingeatmet hatte. Sie gab einem das Gefühl absoluter Sicherheit: Hier sucht uns keiner. Über uns braust die Großstadt, unter uns gluckert der Unrat von siebenhunderttausend. Die Freiheit ist es wert, zu stinken …
René, der Kavalier, hatte eingeladen zum Fest.
Er war ein eleganter Mann Ende der Dreißig, trug einen Menjoubart unter der gebogenen römischen Nase, hatte pomadisierte schwarze Locken, kleidete sich etwas dandyhaft und führte am Arm einen Stockschirm spazieren, der sich Eingeweihten als Stockdegen zu erkennen gab. René bevorzugte eine gebildete Sprache. So würde er niemals ›Scheiße‹ gesagt haben, sondern mit gespitzten Lippen nur ›merde‹. Damen, denen sein Interesse galt, nannte er ›Papillon‹ – Schmetterling –, was alle reizend fanden. Es ging die Mär durch Bunker und Keller, daß René einmal Friseur gewesen sei … aber das hielt man für üble Nachrede. Dr. Linden gegenüber hatte René, der Kavalier, durchblicken lassen, daß er die mittlere Reife habe und sich autodidaktisch weitergebildet habe zum Finanzgenie. Allerdings nicht als rechte Hand der Banken, sondern als nehmende Hand. Er hatte die Gabe, ungedeckte Wechsel aufzuschwatzen, mit ihnen zu kaufen und das Gekaufte dann wieder zu verkaufen, was einen reellen Gewinn bedeutete. An diesem Tag feierte er ein großes Geschäft. Er hatte einen Wagen auf einen klingenden Namen gekauft (Wozu gibt es Adreßbücher?), ihn mit einem Scheck bezahlt, sofort über die holländische Grenze gefahren und dort wieder verkauft. So etwas gelingt nicht alle Tage, selbst nicht einem Genie wie René.
»Warum ich in einem Bunker lebe?« hatte
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