Professionelle Intelligenz - worauf es morgen ankommt
stelle mir viele Projekte der Zukunft vor wie einen Boxenstopp beim Formel-1-Rennen. Ich habe auf YouTube nach kleinen Videos gesucht und mir ein längeres Schwarz-Weiß-Video von einem Boxenstopp vor fünfzig Jahren angesehen. Da kratzt sich ein Hilfsarbeiter mit der Tankpistole am Hinterkopf und fragt: »Wann bin ich mit dem Tanken dran?« Und dann eines von diesem Jahr, in dem der Weltmeister in jeweils erlaubter Höchstgeschwindigkeit reinsaust, abrupt hält – und sofort springt eine Traube von Ninjaartigen in seltsamen Raumanzügen auf das Auto! Sie prallen im gleichen Augenblick wieder zurück – und schwupp!, das Auto rast wieder los!
Das ist perfektes Teamwork! Natürlich verdient der Fahrer fast das ganze Geld, aber wenn der Mitarbeiter mit dem Tankrüssel einen Fehler macht oder zum Beispiel niest und sich dabei die Hand vors Gesicht hält, kann alles verloren sein. Es kommt auf jeden Einzelnen an! Das wird immer gepredigt, aber in der neuen Zeit ist das so. Wollen Sie ein reales Beispiel? Hier nebenan bei IBM wird einem Kunden ein Millionenangebot unterbreitet – die Preise der Einzelelemente werden besprochen, die Produkte, die Gesamtarchitektur – die Arbeitstage werden festgelegt, die Leute dafür bestimmt; die Rechtsabteilung prüft, der Konzerneinkauf schaut, was er dazu besorgen muss. Es können gut 20 Leute damit befasst sein, alles in kurzer Zeit festzuzurren, damit die Ausschreibungsfristen eingehalten werden. Das ist wirklich wie ein Boxenstopp! Jeder Einzelne muss gut sein! Oder denken Sie an Filmproduktionen, wo es auf alle ankommt, wirklich auf alle, die Kameraleute und das Scriptgirl! Jeder Einzelne muss gut sein.
Immer gibt es wichtige und weniger wichtige Menschen, aber keine unwichtigen mehr. Wir hängen auch von den Commodity-Mitarbeitern immer mehr ab. Wehe, Sie stehen mit einem komplizierten Fall eilig beim Einchecken! Wehe, sie brauchen eine schnelle Information! Wehe, es gibt einen Stau, der durch Unfähigkeit entsteht!
Ich träume davon, dass der Graben zwischen allen nicht so tief wäre. Und dass die Professionals die weniger Professionellen coachen und anleiten, ganz ohne Peitsche. Ich glaube, dass die nächste Welt freudvoller wird und weniger hart. Wir haben in Vorzeiten die Verteilungskämpfe um Macht, Landbesitz und Geld gesehen – bald ist das Vermögen mehr in uns selbst. Es ist die ausgebildete Professionalität. Wir können dieses neue Wertvolle in uns selbst nicht anderen stehlen … Wir müssen uns selbst erschaffen.
Und zwar nach Theorie P. Was kann ich selbst tun? Das frage ich mich oft. Wie Kassandra komme ich mir vor! Diese ganze Entwicklung wie etwa die der Spreizung in Commodity und Premium ist zwingend logisch und kommt gewiss. Sie wird ganze Industriezweige (das mag Sie noch kaltlassen), aber auch unsere eigenen Berufe durcheinanderwirbeln. Beunruhigt Sie das nicht, auch das nicht? Man muss dazu gar nicht in die Zukunft sehen, es reicht, die logischen Entwicklungen im Geiste zu Ende ablaufen zu lassen.
Und dann sehe ich und schreibe ich, dass wir »gegen die Wand« laufen.
Es gibt derzeit viele Stimmen, die einen ökonomischen Niedergang der USA wegen der enormen Verschuldung und der eigenen Verblendung gegenüber diesem Problem vorhersagen. Die USA selbst scheinen das alles nicht zu sehen! Warum fürchten sie sich nicht vor einer finanziellen Übernahme durch China? Sie scheinen unendlich selbstbewusst, auch jetzt noch, wo es vielleicht nicht mehr angebracht sein könnte.
Das sehen wir in Deutschland genau – mit ganz klarem Blick. Aber wir selbst? So wie die USA zu selbstbewusst erscheinen, sind die Deutschen insgesamt wohl unerschütterlich, sie seien die Besten mit dem besten Gesundheitssystem und dem besten Bildungssystem, mit den besten Autobahnen und dem besten sozialen Absicherungssystem. Gleichzeitig sehen wir in allen Statistiken, dass Deutschland ins Mittelmaß abgesunken ist. Wir sehen, dass professionelle Mitarbeiter fehlen. Folglich ist Deutschland insgesamt nicht professionell genug. Gleichzeitig umfahren wir am Morgen die tiefen Schlaglöcher in den Straßen, die es so noch niemals in meinem langen Leben gegeben hat. Unter dem Label »Made in Germany« waren wir früher stolz, die Tabellenersten zu sein. Jetzt weisen wir jede Kritik an unserem mittelmäßigen Tun mit dem Hinweis ab, dass wir doch immerhin durchschnittlich seien – und wahrscheinlich besser, weil die Statistiken ja immer zu unseren Ungunsten lügen – immer!
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