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Professor Bingos Schnupfpulver

Professor Bingos Schnupfpulver

Titel: Professor Bingos Schnupfpulver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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Abgeschiedenheit und des Vergessens. Das Gras hier war grün und frisch.
    Er kam zu einer kleinen Bank aus Stein. Er setzte sich darauf und blickte hinüber zu einem Grabmal aus Marmor, mit Engeln darauf. Es schien nicht billig gewesen zu sein. Er konnte sehen, daß die Inschrift einst vergoldet gewesen war. Er las den Namen. Er stammte aus einer Zeit längst erloschenen Glanzes, als ein Star der Stummfilm-Ära wie ein Kalif aus Tausendundeiner Nacht gelebt und wie ein Prinz gestorben war. Eine bescheidene Ruhestätte für einen einst so berühmten Mann. Ganz anders als in diesem künstlich aufgebauten Paradies auf der anderen Seite des Flusses.
    Es war schon lange her, und die trübe Welt von damals gab es nicht mehr. Gin, der in Badewannen hergestellt wurde. Kriege zwischen Gangsterbanden. Gewinnspannen von zehn Prozent. Parties, die für alle Beteiligten mit Alkoholvergiftung endeten. Zigarrenrauch in den Theatern. Damals rauchten alle Zigarren. In den Ranglogen hing der Rauch ständig in dichten Schwaden. Vom Luftzug gezogen, trieben sie zur Bühne hin.
    Er hatte ihn riechen können, als er fünf Meter über dem Boden auf seinem Rad mit Rädern wie Wassermelonen auf einem Seil balancierte. Joe Meredith, der Radclown. Gute Nummer. Nichts, was Schlagzeilen gemacht hätte – mit dieser Nummer war das nicht möglich –, aber verdammt viel mehr als ein simpler Akrobat. Ein Soloauftritt. Einer der besten Stürze im Schaugeschäft. Sieht ganz einfach aus, wie? Versuchen Sie's mal, dann werden Sie merken, wie leicht das ist. Aus fünf Meter Höhe mit dem Nacken auf den harten Bühnenbrettern aufschlagen und mit einer Rolle wieder auf die Füße kommen, mit dem Hut auf dem Kopf und einer zwanzig Zentimeter langen brennenden Zigarre im breit geschminkten Mund.
    Er fragte sich, was passieren würde, wenn er das jetzt probierte. Wahrscheinlich würde er sich vier Rippen brechen und die Lunge durchbohren.
    Ein Mann kam den Friedhofsweg entlang. Einer von diesen zähen jungen Kerlen, die bei jedem Wetter ohne Jacke gehen. Zwanzig oder einundzwanzig Jahre alt, das zu dichte schwarze Haar ungepflegt, ausdruckslose kleine schwarze Augen, dunkel-olivfarbener Teint, das Hemd über der harten, haarlosen Brust offen.
    Vor der Bank blieb er stehen und maß Joe Pettigrew mit einem raschen Blick.
    »Haben Sie Feuer?«
    Joe Pettigrew stand auf. Es war Zeit, nach Hause zu gehen. Er nahm ein Heftchen Streichhölzer aus der Tasche und hielt es dem anderen hin.
    »Danke.« Der junge Kerl zog eine Zigarette aus der Brusttasche seines Hemdes und zündete sie langsam an, wobei er die Augen in alle Richtungen bewegte. Als er die Streichhölzer mit der linken Hand zurückreichte, warf er einen schnellen Blick über seine Schulter. Joe Pettigrew griff nach den Streichhölzern. Der Bursche schob die rechte Hand schnell unter sein Hemd und riß eine Pistole heraus.
    »Die Brieftasche her!«
    Joe Pettigrew trat ihm in den Unterleib. Der Junge krümmte den Oberkörper nach vorn. Schweiß brach ihm aus. Kein Laut kam über seine Lippen. Er hielt die Pistole fest, aber er zielte damit nicht mehr auf Joe Pettigrew. Zäher Bursche, weiß Gott. Joe Pettigrew machte einen Schritt nach vorn und trat ihm die Pistole aus der Hand. Er griff nach der Waffe, bevor der andere sich bewegen konnte.
    Der Junge atmete rauh und in kurzen Stößen. Es sah aus, als ob ihm entsetzlich übel wäre. Joe Pettigrew empfand so etwas wie Enttäuschung. Sein großer Auftritt, allein auf der Bühne. Er hätte alles sagen können, was er sagen wollte. Aber er hatte nichts zu sagen. Die Welt war voll von zähen Burschen. Es war ihre Welt, die Welt der Porter Greens.
    Zeit nach Hause zu gehen. Er ging zu dem grünen Abfallkorb und warf die Pistole hinein. Dann sah er sich um, aber der Junge war verschwunden. Hatte es wahrscheinlich sehr eilig, von hier fortzukommen. Wahrscheinlich stöhnte er, während er ging. Möglicherweise rannte er auch. Wohin sollte man laufen, wenn man einen Menschen getötet hat? Nirgendwohin. Man ging nach Hause. Davonlaufen machte die Sache nur noch komplizierter. Das erfordert gründliche Überlegungen und Vorbereitungen. Es erfordert Zeit, Geld und Kleidung.
    Seine Beine taten ihm weh. Er war müde. Er könnte sich eine Tasse Kaffee kaufen und dann den Bus nehmen. Er hätte sich Zeit lassen und einen Plan machen sollen. Das war Professor Bingos Schuld. Wegen ihm hatte alles so einfach ausgesehen, wie eine Wegabkürzung, die auf keiner Karte verzeichnet

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