Professor Mittelzwercks Geschöpfe
würde. Doch es geriet zum Dauerbrenner.
Als Stalin längst gestorben war, entheiligt und aus dem Mausoleum en t fernt, erhob auf einem Empfang eine russische Delegierte ihr Sektglas und nannte mich auf deutsch herzlich einen ingenieur der menschlichen seele. Ich widersprach ihr nicht, weniger aus Höflichkeit, mehr, weil ich gerade diese Hinterlassenschaft Stalins nicht wichtig nahm, selbst hatte ich mich beim Schreiben nicht als Ingenieur gefühlt. So lachte ich und äußerte, mein Glas erhebend, etwas abstrakt Nettes über die Sowjetunion. Später ließ ich in einem Buch eine Schriftstellerin beiläufig sagen: damals war die Seele den Ingenieuren freigegeben, die darin herumschrauben durften. Somit schien für mich dieses Werk Stalins abgetan. Durch Ihr Werk sich in übe r einstimmung bringen sehe ich mich veranlaßt, auch ingenieure der mensc h lichen seele noch einmal anzuschauen. Ich kann es Ihnen nicht ersparen, Stalins Werk finde ich sprachlich stärker, was seinen Unsinn nicht aufhebt, denn es gibt die menschliche Seele nicht, sondern soviel unte r schiedliche Seelen wie Menschen. Jeder Schriftsteller ist eine besondere Seele, ein technischer Ingenieur aber keine Maschine. Was für ein barbarischer Ei n druck, eine menschliche Seele auseinandergenommen vor sich liegen zu sehen, geschmiert, geölt, repariert, umkonstruiert, durch ein neu eing e bautes Element in ihrer bisherigen Funktion geändert, nach einem Bauplan, einer Skizze, einem Schaltschema, und wie erschreckend zu de n ken, daß dieser Seelen-Apparat, wenn er die vorgegebene Funktion nicht mehr e r füllt, ausgeschlachtet wird und die Wissenschaft es ermöglicht, Teile einer abgenutzten Seele, die weggeworfen wird, in eine andere Seele einzuba u en. Mein altes Mißverständnis hat sich aufgeklärt: der Schriftste l ler sollte nicht nur die Seelen, über die er schreibt, kennenlernen, er sollte die Se e len umkonstruieren, warten, sollte überprüfen, ob sie reibungslos laufen, sie schmieren und aufarbeiten, für die Betriebssicherheit ihres Laufes so r gen, damit sie keine Havarie verursachen, das Staatsgebäude nicht zum Wackeln bringen. Darüber sollte er einen schriftlichen Bericht abli e fern. Der Besitz von Seelen, der in Rußland wie das Geschäft mit toten Seelen Trad i tion hatte, ging auf Stalin über, der sich für seine vielen Milli o nen Seelen Ingenieure halten wollte. Als ich ingenieure der menschlichen seele zum ersten Mal vernahm, graute mir aber nicht davor. Kühn stellte Stalin fest, daß eine seele des Menschen existiert, was viele Kommunisten hart bestri t ten. Die seele schien ihnen ein Gut der Kirchen, ein Hirngespinst des Ide a lismus, ne Seele gibt es nicht, Genossen, es gibt nur die Materie. Stalin hingegen ging davon aus, daß eine Menschenseele vorhanden sei, er fügte einen Begriff der Technik und einen Begriff der Religion zusammen, einen handgreiflichen und einen unsichtbaren, nicht faßlichen. Hätte er nicht wissenschaftlich genauer sagen sollen: INGENIEURE DES MENSCHLICHEN B E WUSSTSEINS ? Seele klang schöner, mystischer, hing mit Glauben zusa m men, das hatte Stalin im Gefühl.
Ihr Werk sich in übereinstimmung bringen kommt aus der gleichen Kiste, ist aber sprachlich schwächer, trockner, sperriger, es erinnert an das triste bürokratische etwas zur durchführung bringen, doch erscheint es mir sa u berer, genauer, klarer, ehrlicher als Stalins Werk.
Ich muß noch einmal darauf zurückkommen: womit sollen sich die Schriftsteller, die Sie in Ihrem Werk ansprechen, nun präzise in Überei n stimmung bringen? Mir scheint, Sie sehen eine Ideologie ganz realistisch wie Schulstoff an, den jeder Bürger ohnehin ein oder mehrere Male im Leben durchzukauen hat. Mit Schulstoff muß er nicht übereinstimmen, er muß ihn büffeln, wenn eine Prüfung droht. Sie sehen wohl jedwede Ideol o gie und offizielle Glaubenslehre als Bildungsgut. In Übereinstimmung, das sagen Sie im Anhang, in Kommentaren, die Sie dem Werk beifügten, in Übereinstimmung soll sich der Schriftsteller mit den politischen Erfordernissen des Tages bringen. Er kann sie unschwer aus dem Zentralorgan ablesen und in den Schulungen erfahren. Wie ist die linie heute, sollte ein Autor möglichst schon vor dem Aufstehen fragen. Was ist am höchsten Ort beschlossen worden? Wie schätzt dies oder jenes Gremium die Lage ein? Wie lauten seine Weisungen? Und dann beginnt er sich in Übereinstimmung zu bringen. Er kontrolliert, ob seine derzeitige Übereinstimung
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