Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Projekt Armageddon

Projekt Armageddon

Titel: Projekt Armageddon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
Vom Netzwerk:
Gestalt des Wanderers füllt den Rahmen. Sein Blick fällt auf Lokis Fuchsgesicht und die unverhohlene Häme darin.
    »Du hast wohl etwas vergessen?«, fragt der Feuergott mild.
    Odin stößt einen Fluch aus, der in alten Zeiten die neun Welten erschüttert und den Himmel zum Beben gebracht hätte. Dann blickt er in die tanzenden Augen des Bruders und beginnt zu lachen. Er greift in den Winkel neben der Tür und nimmt seinen Stock, droht Loki damit. »Da siehst du, wie es um mich bestellt ist«, sagt er. »Ich sitze in Küchen herum und lasse Gungnir hinter der Tür stehen wie einen alten Knotenstock. Vielleicht hast du recht, Loki, mein Bruder. Vielleicht sollte ich mich zur Ruhe setzen.« Er stößt den Stock so hart auf den Boden, dass ein glattgetretener Stein des Bodens aufschreit und zerbricht, dann neigt er den Kopf und versperrt dem Sonnenlicht nicht länger seinen Weg in die Küche.
    Loki lauscht den sich entfernenden Schritten, dem knarrenden Gartentor, dem heiseren Bellen des Hundes. Er starrt auf den Boden, die zersprungene Fliese. Dann erhebt er sich schwerfällig, schlurft zur Tür und schließt erneut die Welt aus.

11
    Ich war tot, doch nun lebe ich in alle Ewigkeit,
und ich habe die Schlüssel zum Tod und zur Unterwelt.
    E in kleines, fensterloses Zimmer mit zwei Reihen von hässlichen Plastikstühlen in Orange und Braun, die sich gegenüberstanden. Ein wackliger Tisch, darauf ein Stapel zerlesener, eselsohriger Zeitschriften: Wild und Hund. Trucker. Angelwoche. Reader's Digest. Heim und Welt. Die Zahnarztwoche. Eine Rätselzeitschrift mit falsch ausgefüllten Kreuzworträtseln, allesamt mindestens fünf Jahre alt. Gallegrün gestrichene Wände, fettig glänzend. Der Geruch von ungeleerten Aschenbechern, altem Zigarettenrauch und Bohnerwachs. An der Decke eine unruhig flackernde Neonröhre. Ein dreibeiniger Hocker mit einem vertrockneten Ficus. Eine Tür, auf deren Mattglasscheibe schmierige Fingerabdrücke klebten. Linoleum, zerschrammt und schmutzig, übersät mit toten Fliegen. Über der Tür ein kleiner Kasten, der eine Nummer anzeigte: 112. Daneben ein Lautsprecher, der in einer Endlosschleife Fahrstuhlmusik dudelte.
    Ash lehnte an der Wand, kippelte auf ihrem quietschenden, orangeroten Plastikstuhl, trat gelangweilt gegen den kleinen Tisch. Die Zeitschriften hatte sie schon durchgeblättert. Zweimal. Das Flackern der Neonröhre machte ihr Kopfschmerzen. Sie griff erneut nach dem mit Kippen überfüllten Aschenbecher, suchte in ihrer Jacke nach Zigaretten und einem Feuerzeug, fand nichts außer Wollmäusen und Krümeln. Stellte den Aschenbecher ab, lehnte sich wieder an die Wand zurück.
    Das Licht an dem kleinen Kasten über der Tür leuchtete auf, die nächste Nummer klappte herunter: 284. Der Lautsprecher knackte, eine leise Stimme krächzte unverständliche Worte. Ash blickte nicht auf. Sie hatte den Zettel mit ihrer Nummer, die sie an der Tür gezogen hatte, zerknüllt und weggeworfen. Er lag auf dem Boden, und ein Teil der darauf gedruckten Zahl grinste sie an: …15374.
    Ash schloss die Augen und versuchte zu schlafen, aber die Dudelmusik hinderte sie daran. Die wievielte Wiederholung des Bandes musste sie sich gerade anhören? Ash ächzte und stopfte sich die Finger in die Ohren.
    Sie versuchte, sich zu erinnern. Wie war sie hierhergekommen? Worauf wartete sie? Sie starrte auf die Milchglasscheibe der Tür. Dahinter bewegten sich manchmal Schatten, jemand ging mit klackenden Schritten vorüber. Seit sie hier wartete, hatte noch niemand diesen Raum betreten. Sie war allein. Sie konnte sich nicht daran erinnern, diesen Raum überhaupt betreten zu haben. Wie lange wartete sie schon?
    Worauf wartete sie?
    Ash merkte, dass ihre Gedanken sich im Kreis drehten. Sie seufzte und beugte sich vor, griff nach »Wild und Hund«, blätterte ein drittes Mal durch die Zeitschrift. Oder war es schon das vierte Mal? Sie warf die Zeitschrift zurück auf den Stapel.
    Die Neonröhre begann zu ihrem nervtötenden Flackern nun auch noch zu summen. Wieder knackte der Lautsprecher, die Stimme sagte etwas, dann dudelte die Musik weiter, eine leiernde Instrumentalversion von »New York, New York«. Ash stellte erstaunt fest, dass sie leise stöhnte.
    Sie beugte sich vor und nahm den Aschenbecher vom Tisch, durchsuchte ihre Taschen nach Zigaretten. Hielt inne. Hatte sie das nicht gerade schon getan? Keine Zigaretten, kein Feuerzeug. Sie stellte den Aschenbecher zurück, griff nach dem Heft mit den

Weitere Kostenlose Bücher