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Projekt Armageddon

Projekt Armageddon

Titel: Projekt Armageddon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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    Er schläft endlich, und Traumbilder lassen ihn stöhnen und Tränen vergießen – klar wie Urds Wasser tropfen sie aus dem einzigen Auge; blutig und dick entquellen sie dem, was einst ein Auge gewesen. Die Wölfe, Geri und Freki, liegen an seiner Seite und wachen spitzohrig über des Wanderers quälenden Schlaf.
    Odin erwacht in tiefer Dunkelheit. Es ist still und kalt, und er wähnt sich in Niflheims ewigem Nebel und Eis. Er setzt sich auf, seine Wölfe drängen sich an ihn, ihren Atem weiß vor den Mäulern, die Augen angstvoll geweitet.
    Der Wanderer erhebt sich mit schweren, steifen Gliedern und Gelenken, die knacken wie dürres Gezweig. Er stützt sich auf den Speer, der nun wieder ein Stock ist, und blickt schweigend ins Dunkel. Wittert, zieht die Luft durch die Zähne, schmeckt sie wie Wein. Ein Fluch flüstert über seine Lippen.
    Niemand betrat Hels Reich gegen ihren Willen. Er war niemals ein gern gesehener Gast, immer musste er sich Zutritt erzwingen, erbetteln, erflehen; jedes Mal wurde er widerwillig eingelassen. Nun hat es ihn hierher versetzt, ohne sein Wissen und ohne sein Zutun. Ist er im Schlaf gestorben und muss nun schmählich hier auf das Zeitenende warten?
    Er neigt den Kopf, schließt das Auge, lauscht. Sein Herz schlägt, das Blut rauscht, der Zorn klopft ihm in den Schläfen. Nicht kalt und still und tot steht er hier, sondern lebendig und warm.
    Er öffnet wieder den Blick und flüstert den Namen der Rune, die »Flamme« und »Fackel« bedeutet, singt ihren Vers: »Die Fackel ist jedem Lebenden durch ihr Feuer vertraut, sie ist klar und hell …«, er muss den Vers nicht vollenden, denn schon liegt ein Lichtschein über seiner Hand und weist ihm den Weg durch die finstere Nacht.
    Hels Reich, immer schon düster und kalt, ist nun so tot wie es seine Bewohner einst waren. Nichts regt sich mehr in der Erde Schlund, tief unter Yggdrasils ragendem Stamm. Der Wanderer durchschreitet die finsteren Hallen, sieht Hels Tafel verlassen. Staub und Erde, Spinnengespinst und Fledermauskot bedecken den langen Tisch.
    Der Wanderer wendet den Fuß, macht sich bereit für den Aufstieg aus nächtiger Tiefe.
    Licht flackert, ein rötlicher Schein, hastig verhehlt. Schritte verharren, ein Fuß stößt an Stein. Atem verstummt. Bewegung hält inne.
    Der Wanderer hebt die Hand, leuchtet ins Dunkle. »Wer ist dort?«, fragt er ruhig. »Zeige dich, heimlicher Gast.«
    Im tiefen Schatten atmet jemand zischend ein. Zögert.
    »Komm heraus, zeige dich mir«, wiederholt der Wanderer geduldig. »Ich werde dir nichts zuleide tun. Ich bin froh, dass noch jemand außer mir hier atmet und mit mir den Aufstieg teilen wird.«
    »Das bezweifle ich«, erwidert eine Stimme mit müdem Spott. Die Gestalt, die sich aus dem Schatten löst, erwidert Odins Blick ohne Angst, aber mit Wachsamkeit.
    »Loki.« Der Wanderer packt seinen Stock fester. »Was treibst du dich hier im Dunkel herum, lügnerischer Freund?«
    Der andere nähert sich ihm, lässt ihn nicht aus den Augen. »Dies ist die Wohnung meiner Tochter, du erinnerst dich?«, erwidert er. »Ich sehe hin und wieder nach dem Rechten.«
    Odin lacht, aber es liegt keine Freude darin. »Hast du Angst, jemand würde hier einbrechen oder es könnte durch ein Fenster in den Saal regnen? Loki, mein Bruder, deine Lügen waren einst besser.«
    Der Feuergott zuckt die Achseln. »Glaube mir oder glaube mir nicht«, sagt er mit düsterem Ernst. »Ich besitze nicht weniger ein Recht als du, mich hier aufzuhalten.«
    Odin weist stumm zum steilen Gang, der hinauf und hinaus führt. »Nach dir«, murmelt Loki und mustert nicht ohne Sorge den Bruder.
    Sie schreiten eine lange Weile stumm nebeneinander her. Der Weg steigt heftig an, aber beide achten der Anstrengung nicht. Licht schimmert, die Sterne der Nacht leuchten durch das Tor, das den Ausgang aus Hels finsterem Reich bedeutet. Sie treten hindurch, atmen tief die feuchte Luft, fühlen die Schatten von sich abfallen.
    »Wo kamst du her?«, fragt Odin. »Ich habe etwas gefühlt, das wie ein Beben im Raum war. Eine Verwerfung in der Zeit. Du warst nicht dort unten, als ich erwachte. Du kamst hinzu, und du nahtest auf seltsamem Weg.«
    Der andere wendet den Blick ab. »Frage mich nicht, dann musst du keine Antwort hören, die dir nicht gefallen wird«, erwidert er schroff. Er wendet sich ab.
    Der Wanderer packt Lokis Arm, hält ihn fest. »Du entweichst mir nicht ohne Auskunft«, sagt er, und so sanft seine Stimme auch klingt,

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