Projekt Atlantis
Bestand hat seine besten Zeiten hinter sich, und nur ab und zu gastieren hier kleine Wanderausstellungen. Es ist eine Schande. Zwischenzeitlich versucht das Museum durch Diavorträge, Leseabende und andere Kulturveranstaltungen etwas mehr Aufmerksamkeit zu bekommen. Was hier fehlt, ist ein Mäzen.«
Peter führte den Franzosen durch einen Seitentrakt in sein Büro. Die Regale waren mit unzähligen, aber penibel sortierten Büchern bestückt, der Schreibtisch leer und aufgeräumt. Patrick nahm auf einem auffallend altmodischen Stuhl vor dem Tisch Platz und schmunzelte. »Irre ich mich, oder ist das hier immer noch derselbe?«
»Natürlich«, gab Peter zurück. »Er ist gerade mal fünfzig Jahre alt und leistet wunderbare Dienste.« Er öffnete ein Fenster und setzte sich hinter seinen Tisch, wo er eine Schublade öffnete, Utensilien hervorholte und begann, sich eine Pfeife zu stopfen.
»Ist das Rauchen hierzulande nicht auch in Büros verboten?«
»Es würde mich wundern, wenn Sie das plötzlich störte«, erwiderte der Professor verschmitzt. »Jetzt haben Sie es so lange in dem Restaurant ausgehalten, nun stecken Sie sich schon eine an. Und dann erzähle ich Ihnen, was ich herausgefunden habe.«
Aus einer weiteren Schublade holte Peter eine dicke Mappe heraus. Als er sie öffnete, kamen großformatige Fotografien der einzelnen Seiten des goldenen Buchs zutage, das Patrick in Guatemala gefunden hatte. Es folgten Papiere, in denen viele der Glyphen nachgezeichnet und offenbar übersetzt worden waren.
»Sie kennen sich mit den mesoamerikanischen Völkern einigermaßen aus, richtig?«
»Ja«, sagte Patrick, »sicher nicht so gut wie Sie, aber jedenfalls besser als mit den alten Ägyptern, wenn Sie darauf anspielen.«
»Gut. Dann muss ich ja nicht von vorn anfangen...«
»Danke.«
»... aber es schadet sicher nicht, wenn ich Ihnen die ungefähre Chronologie noch einmal vor Augen halte.«
»Hm...«, machte Patrick in einem Tonfall, der ein resigniertes »lässt sich wohl nicht verhindern« ausdrückte, und lehnte sich mit seiner Zigarette zurück.
»Wenn wir von Mesoamerika sprechen, dann meinen wir eigentlich keine geografische Region, sondern einen Kulturraum, der seine Grenzen im Lauf der Jahrhunderte stetig veränderte. In etwa ist damit das Gebiet von der südlichen Hälfte Mexikos über Guatemala und Belize bis nach Honduras gemeint. Was Sie hier gefunden haben«, er zeigte auf die Fotografien, »ist ein Artefakt der Maya. Die Maya lebten in der Yucatán-Region. Als die spanischen Eroberer im sechzehnten Jahrhundert kamen, waren nur noch wenige Reste dieser Kultur übrig. Sie hatten fast sechshundert Jahre zuvor ihre Blütezeit gehabt und ihr Reich inzwischen bis auf einige größere Städte eingebüßt. Die Herren Mesoamerikas waren inzwischen die Azteken weiter westlich, im Süden Mexikos, und Cortés unterwarf den letzten ihrer Herrscher, Montezuma, im Jahr 1520. Obwohl die Spanier in ihrem missionarischen Bemühen, alle heidnischen Bräuche und Schriften der Azteken auszurotten, viel vernichteten, überdauerten verhältnismäßig viele ihrer Überlieferungen, die in den folgenden Jahren von Historikern wieder zusammengetragen wurden. Anders bei den Maya. Von ihnen existieren neben den steinernen Stelen, die in erster Linie nur offizielle Namen oder Zeitdaten enthalten, weltweit lediglich vier andere schriftliche Zeugnisse, die sogenannten Codizes. Wir wissen also nur sehr wenig über das Selbstverständnis der Maya, ihre Gedankenwelt, ihre Kultur, ihre Geschichte oder ihre Religion. Wir können in erster Linie nur ableiten. Das Buch, das Sie gefunden haben, ist ein vollständiger Codex, doppelt so lang wie alle anderen Maya-Codizes zusammen. Es ist nicht nur materiell wertvoll, mehrere hunderttausend Euro sicherlich, sondern aus historischer Sicht unschätzbar. Es ist mehr als ein Multimillionenobjekt. Es ist einzigartig und vollkommen unbezahlbar. Ist Ihnen das eigentlich klar?«
Patrick nickte grinsend. »So in etwa, ja. Deswegen habe ich es auch nicht im Handgepäck mitgebracht, ich hoffe, Sie verzeihen mir.«
»Wo ist es?«
»In einem Banksafe.«
»Das ist gut! Denn die Geschichte geht weiter. Ich habe mich um die Übersetzung bemüht. Die vollständige Analyse und Übertragung wird sicher noch sehr viel Zeit in Anspruch nehmen, Jahre vielleicht. Aber schon gleich die erste Enthüllung war sensationell: Ein legendärer Schöpfungsbericht, wie wir ihn bisher noch nicht kannten. Oder sagen wir:
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