Projekt Atlantis
Nicht von den Maya. Es gibt einen faszinierenden Schöpfungsmythos der Azteken sowie eine Geschichte ihrer Herkunft. In Ihrem Buch nun sehen wir, dass dieser Mythos viel älter ist als die Azteken, dass ihn bereits die Maya kannten.«
»Es wäre aber denkbar, dass das goldene Buch viel jünger ist«, sagte Patrick. »Dass es verfasst wurde, als die Azteken bereits regierten und sich ihre Geschichten auch nach Guatemala verbreitet hatten.«
»Vollkommen richtig, ja. Aber die Schrift der Maya hat sich im Lauf der Zeit gewandelt. In Ihrem Buch werden Glyphen verwendet, die lange vor den Azteken schon nicht mehr in Gebrauch waren, die zurückweisen auf eine Zeit zu Beginn unserer Zeitrechnung.«
»Na gut, aber mal ehrlich: So richtig spannend ist das nicht, oder?«
»Sind Sie mit der Legende der Azteken vertraut?«
»So in etwa. Sie kamen von einer Insel in einem See und zogen auf der Suche nach einer neuen Heimat lange durch das Land. Dann sahen sie ein Zeichen. Einen Adler auf einem Kaktus, der aus einem Stein wuchs oder so was, und gründeten die Stadt Tenochtitlán, das heutige Mexiko City.«
»Ja. Ganz recht. Die Legende der Herkunft und Wanderung der Azteken ist gut datiert und führt zurück ins erste Jahrtausend nach Christus. Unser Mittelalter. Nicht vergleichbar mit den Schöpfungsgeschichten, die wir aus dem Nahen Osten und aus Asien kennen, die wesentlich älter sind.«
»Das meine ich doch. Nicht sonderlich spannend.« Patrick blies eine Rauchwolke aus.
»Für sich genommen vielleicht«, stimmte Peter zu. »Aber die Azteken waren weniger große Erfinder als eifrige Nachahmer. Sie erschufen sich ihre eigene Geschichte und erfanden hinzu, was ihnen gefiel. So bewunderten sie ihre Vorgänger, die Tolteken, deren Ruinen sie in Teotihuacán fanden, und deuteten dies als den Geburtsort ihrer Götter, nicht ahnend, dass diese Stadt sogar noch viel älter als die Tolteken, nämlich von den Olmeken war, die sogar noch vor den Maya hier lebten. Sie übernahmen Prinzipien der Bilderschrift, den Entwurf des zweiundfünfzigjährigen Kalenders und viele architektonische Elemente.« Peter deutete mit dem Mundstück seiner Pfeife auf die vor ihm liegenden Blätter. »Und dieser Codex hier zeigt, dass auch die kleine Schöpfungsgeschichte der Azteken lediglich übernommen und angepasst worden war, dass sie schon zu Zeiten der Maya kursierte und mitnichten nur bis ins Jahr eintausend nach Christus reicht, sondern sogar bis zum Beginn des Mayakalenders, der sich bis 3114 vor Christus zurückrechnen lässt.«
»Wer hätte das gedacht.«
»Natürlich können wir nicht wissen, ob nicht auch die Maya den Mythos ihrerseits einst von den Olmeken übernommen und angepasst hatten. Aber was höchst interessant ist: Auch in dieser bislang ältesten Fassung, die wir kennen, spielt der Ursprung von einer Insel eine Rolle. Eine paradiesische Insel, die verlassen werden musste, als sie von den Göttern vernichtet wurde.«
»Was für eine Insel?«
»In der bekannten Version der Azteken lag sie irgendwo nordwestlich von Tenochitlán. In dieser älteren Fassung von den Maya befindet sie sich allerdings im Osten. Also im Golf von Mexiko oder sogar weiter draußen im Atlantik. Und in beiden Fassungen trägt sie denselben Namen: Azlán. «
Patrick sah den Engländer einen Augenblick lang stumm an. Dann lachte er auf. »Sie wollen mir jetzt nicht weismachen, dass Sie damit Atlantis meinen, oder?«
Peter schwieg und lächelte.
»Also wirklich!« Patrick grinste, »Auf diese Idee sind schon andere vor Ihnen gekommen, alter Freund. Atlantis! Das ist ja noch verrückter als meine Idee, Eldorado zu suchen!«
»So? Meinen Sie?«
»Und ob ich das meine! Sagen Sie, was für ein Kraut ziehen Sie da eigentlich durch Ihre Pfeife?«
Peter nahm einen Zug und ließ den Rauch an seiner Nase vorbeigleiten. »Das ist Holger Danske Mango Vanilla. Der ist unter Traditionalisten zwar verpönt, weil er ihnen zu viel nach Aromasoße und zu wenig nach Tabak schmeckt, aber über solcherlei Betrachtungen bin ich hinaus.«
»Das war ein Witz.«
»Ja. Und ich habe ihn Ihnen verdorben.«
Patrick betrachtete den Engländer genau. Seit er Peter kannte, hatte er sich manchen Scherz auf dessen Kosten erlaubt und wusste inzwischen, wann der Professor darauf eingehen und wann er es einfach ignorieren würde. »Sie meinen es wirklich ernst, was?«
»Unbedingt.«
Patrick schüttelte den Kopf und drückte seine Zigarette aus. »Eben halten Sie noch einen langen
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