Projekt Atlantis
Vortrag darüber, wie fragwürdig die Legende ist und was man von den ganzen Theorien halten sollte, und jetzt fangen Sie selbst damit an? Was soll das?«
»Ich habe nicht gesagt, was ich selbst von den verschiedenen Interpretationen halte. Und außerdem muss ich ja nicht der ganzen Welt eine Theorie auf die Nase binden, die ich erst überprüfen möchte.«
»Sie möchten Sie überprüfen ? Wollen Sie vielleicht Atlantis suchen?«
»Ja. Und ich dachte mir, dass Sie sicher mitkommen wollen.«
Patrick stand auf. »Also Moment mal. Sie können mir ja einiges erzählen, aber Sie haben eben selbst gepredigt, auf was für wackeligen Beinen diese ganze Atlantis-Story steht.« Er ging im Büro auf und ab. »Es ist eine Legende, und schon seit zweitausend Jahren wird danach gesucht. Da ist es doch völliger Unsinn zu glauben, dass wir plötzlich Atlantis finden können, bloß weil Sie hier im Büro den Anfang eines alten Maya-Textes übersetzt haben.«
Peter ließ sich nicht irritieren. »Haben Sie schon einmal ein Puzzle gelöst?«
»Als Kind.«
»Oft wird die Suche nach Antworten mit einem Puzzlespiel verglichen. Einzelne Teile, die für sich stehend sinnlos scheinen und doch gemeinsam ein Bild ergeben. Aber der Vergleich ist trügerisch. Bei einem Puzzle arbeiten Sie nach einer Vorlage, und das Bild baut sich nach und nach auf. Und tatsächlich ist es das, was die meisten Forscher betreiben: Sie beginnen mit einer Theorie, einer Vermutung, quasi der Vorlage einer antizipierten Antwort, und dann suchen sie so lange nach Puzzlesteinchen, bis sie dieses Bild vervollständigen können. Dabei nehmen sie nur die Teile, die ihnen passen, andere lassen sie weg. Am Ende kommt ein Abbild ihrer Vorlage dabei heraus, oftmals etwas schief und krumm, aber sie meinen, es geschafft zu haben. Tatsächlich messen sie ihren Erfolg daran, wie groß die Ähnlichkeit der Antwort zu ihrer ursprünglichen Absicht war, und nicht daran, wie groß der Anteil der nicht berücksichtigten Elemente ist, und wie viele Annahmen notwendig waren, um das Bild zurechtzubiegen. Dabei ist erfahrungsgemäß diejenige Theorie die wahrscheinlichste, die am wenigsten Annahmen bedarf, die am schlichtesten ist.«
»Sie meinen Ockhams Rasiermesser. «
»Sie kennen das Prinzip aus Ihrer Arbeit als Ingenieur? Sie haben recht, das Sparsamkeitsprinzip Ockhams, das übrigens auch Aristoteles schon bekannt war. Einfach ausgedrückt: Wenn es verschiedene Hypothesen gibt, die das Gleiche zu erklären versuchen, sollte stets diejenige bevorzugt werden, die weniger komplexe Zusammenhänge und Vermutungen erfordert.«
»Und was hat das mit Atlantis zu tun?«
»Nun, wenn Sie die ganzen Theorien zur Suche nach Atlantis betrachten, werden Sie feststellen, dass die Menschen immer wieder mit einem Haufen von Annahmen gearbeitet haben. Angenommen, Platon sprach nicht von neuntausend Jahren vor seiner Zeit, sondern von nur neunhundert. Angenommen, er meinte nicht hinter den Säulen des Herakles, sondern vor den Säulen des Herakles. Angenommen, die gesuchte Insel wäre viel kleiner, als er sie beschreibt, angenommen, es wäre alles nur eine Parabel, und so weiter. Das war nötig, weil die Puzzleteile, die Platon lieferte, scheinbar kein Bild ergeben konnten, das sich mit unserem heutigen Wissen über die Geschichte und die Welt deckte. Also hat man versucht, wie nannten Sie es einmal... ? Heuristisch vorzugehen. Man setzte eine Lösung voraus und hat überprüft, ob sich durch Rückwärtsentwickeln dies ableiten ließ. Also beispielweise: Nehmen wir an, mit dem Versinken von Atlantis sei der Ausbruch von Thera gemeint; was müsste an Platons Geschichte geändert werden, damit es passt? Es versteht sich von selbst, dass Sie mit genügend Annahmen und Anpassungen das sagenhafte Reich auch nach Helgoland oder in die Antarktis versetzen können.«
Patrick nahm wieder Platz und setzte eine etwas gelangweilte Miene auf. »Ich bin gespannt, worauf Sie hinauswollen.«
»Ach, tatsächlich?«
»Eigentlich nicht.«
»Ja, das war zu erwarten. Aber hören Sie zu. Indizien haben wir genug. Sogar einige mehr als jeder andere, der bisher nach Atlantis suchte. Wir haben diesen Maya-Codex, der uns die Legende ihres Ursprungs erzählt, die Herkunft der Vorväter der Maya von einer paradiesischen Insel im Osten, die im Meer versank. Wir haben hier zum ersten Mal eine Geschichte, die die Legende aus Platons Erzählungen reflektiert, wenngleich unser Grieche wesentlich mehr ins Detail geht.
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