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Projekt Babylon

Titel: Projekt Babylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Wilhelm
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lassen musste. Sie sind kein gläubiger Mensch, Monsieur Michaut, daher kann ich Ihr Augenmerk in aller Neutralität darauf richten: Es war die Kirche, die die Dynastie der Merowinger beendet wissen wollte, es war die Kirche, die den Karolingern ihre Macht bescherte, sich mit ihnen verbündete, es war die Kirche, die die Kreuzzüge antrieb, es war die Kirche, die Forschung und Wissenschaft unterdrückte und deren omnipräsente Macht endlich in der Renaissance gebrochen wurde.«
    Der Präsident nickte. Er war zwar kein Gegner der Institution Kirche, aber kritisch stand er ihr allemal gegenüber. Doch wie viel wusste Plantard über seine Einstellung? Manipulierte er ihn? Es stimmte wohl, was der Alte sagte, und so gesehen mochte er durchaus Recht haben. Aber Michaut fragte sich, worauf er hinauswollte. Dass die Merowinger die besseren Herrscher gewesen wären?
    Der Alte fuhr fort: »Es stellt sich die Frage, ob es Zufall war, dass die Kirche ihren Aufschwung an die Karolinger knüpfte, und warum das mit den Merowingern nicht möglich gewesen wäre. Nun, in der Tat gab es einen sehr guten Grund, weswegen die Kirche sich so entschied. Denn in den Adern von Dagobert und Childerich floss ein Blut, dessen Fortbestand die Kirche keineswegs zulassen durfte.«
    »Jesus Christus«, warf der Präsident ein.
    »Ja, das Blut des Erlösers. Ich sehe mit Befriedigung, dass Sie mit dieser Vorstellung bereits vertraut sind.«
    »Die Theorie ist mir so neu, dass ich noch keine Gelegenheit hatte, darüber zu schlafen, aber ja, ich habe davon gehört.«
    »Nun, es ist tatsächlich keine Theorie. Auf dem einen oder anderen Wege – sei es durch Heirat oder andere Verwandtschaft – ist das Blut unseres Herrn fortgeführt worden. Es fand in Gallien Zuflucht, wo es in den Stammbäumen von Merowech und den Franken aufging. Nun, warum sollte die Kirche ein Interesse haben, dieses einmalige, göttliche Herrscherhaus zu verdrängen? Scheinbar paradox, nicht wahr? Aber ich will es Ihnen sagen: Weil sich die Macht der Kirche nicht auf Jesus begründete, sondern auf der Erlösung durch die Wiederauferstehung und die von Petrus geschaffene Institution Kirche. Und warum sage ich »unseres Herrn«, wenn ich von Jesus rede? Weil Jesu Bedeutung nichts mit der heutigen Kirche zu tun hat – der ich ebenfalls nichts abgewinnen kann –, sondern weil Jesus der höchste Vertreter und Anführer eines auserkorenen Volkes war. Er war hoch gebildet, ein Revolutionär, ein Humanist, ein früher Gandhi, ein Siddharta, ein Martin Luther King – und vor allen Dingen war er der wahre und rechtmäßige König der Juden. Die Römer wussten das. Jesus hätte sich zum Herrscher der bekannten Welt emporgeschwungen, er hätte das Römische Reich vernichtet. Daher ließen sie ihn umbringen. Was daran göttlich war, entscheiden Sie selbst.«
    Michaut sagte eine Weile nichts. Was gab es zu sagen? Eine überaus faszinierende, wenngleich durch nichts zu beweisende Interpretation. Hatte ihn sein Geheimdienst am Morgen zum ersten Mal hiermit konfrontiert, saß er nun – keine zwölf Stunden später – jemand gegenüber, der sie mit so ruhiger Überzeugung vertrat, als sei es das Selbstverständlichste der Welt.
    »Was hat nun der Orden von Zion damit zu tun?«, fragte er.
    »Nun, wie ich eingangs schon sagte, fühlt sich das Priorat von Zion dem Idealbild jener Zeiten verpflichtet. Somit war es die zentrale Aufgabe des Priorats, das Blut der Merowinger nicht aussterben zu lassen. In den vergangenen Jahrhunderten war das Priorat nicht immer sichtbar aktiv, weder in der Wirtschaft noch in der Politik, doch immer ist das Erbe der Merowinger fortgeführt worden. In Wahrheit waren somit stets Erben des königlichen Blutes unter uns, haben in Herrscherhäuser eingeheiratet, haben ihre Linie gesichert und zum Teil dem Priorat selbst vorgestanden.«
    »Und was sind die Ziele des Priorats? Weshalb ist nicht schon längst jemand vorgetreten und hat die Herrschaft übernommen?«
    Der Alte schüttelte den Kopf und drückte sein Zigarillo aus. »Die Ideale des Priorats sehen keine Weltrevolution in Form eines Putsches vor. Die Zeit ist nicht reif dafür. Damit ein zentraler Herrschaftsanspruch überhaupt wirkungsvoll sein könnte, dürften die Machtverhältnisse nicht so verzettelt sein, wie es heute der Fall ist. Länder und Regierungen müssten zunächst noch stärker zusammenwachsen, die Kirche müsste noch mehr Macht und Glaubwürdigkeit verlieren. Aber denken Sie nicht, dass das

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