Projekt Babylon
zu sich!« Er rüttelte den Mann an der Schulter. »Was ist mit Ihnen?!« Peter wurde sich bewusst, dass er im Notfall von hier aus niemanden benachrichtigen konnte, er hatte kein Funkgerät, kein Handy. Und dies schien ein Notfall zu sein.
Ein blendender Blitz zuckte durch seinen Kopf, glasklar und schneidend. Es war mehr als Licht, es bestand in Wirklichkeit aus Tausenden, Millionen und Milliarden von Bildern und Szenen. Er sah Menschen, Städte, Wälder, Berge, Wüsten, Meere, in rasender Abfolge, so vielfarbig und schillernd, dass es nur noch hell und gleißend war. Und es war auch kein Blitz, denn es war zwar schnell, so schnell, dass es alles in einem einzigen Augenblick komprimierte, aber dennoch schien eine Ewigkeit zu vergehen.
Den Blitz begleitete ein ohrenbetäubender Lärm, ein Donnern, ein Brausen, wie von hundert Orchestern gleichzeitig. Es waren alle Geräusche eines Jahres zugleich, vom Weinen eines Säuglings, über den Todesschrei eines Kämpfers, das Heulen des Windes, das Tosen der Brandung bis zum Schrei eines Adlers und dem Lied einer Nachtigall.
Zeichenfolgen, Symbole, Buchstaben und Zahlen rasten vorbei, auf vielerlei Untergründen, in Büchern, auf Pergamenten, auf goldenen Wänden und tönernen Tafeln, alles viel zu schnell, um erfasst zu werden, und doch so eindringlich, dass es seinen Schädel zu sprengen drohte.
Und plötzlich war es vorbei. Die abrupte Stille legte sich um ihn wie ein dickes, schwarzes Federkissen. Eingehüllt in Taubheit und absolute Dunkelheit begann er zu schweben. Orientierungslos und unfähig, sich zu rühren, hing er im Nichts. Die Schwärze umgab ihn wie zähflüssiger Teer, und langsam gab er sich der Schwere hin und schlief ein.
Patrick sackte in sich zusammen, seine Augen fielen zu, sein Atem beruhigte sich. Peter ergriff seine Hand und versuchte, den Puls zu finden. Der Franzose machte plötzlich den Eindruck totaler, ja bedrohlicher Entspannung. Peter konnte nicht einschätzen, ob er ins Koma gefallen oder lediglich bewusstlos geworden war. Vielleicht war es auch ein Herzanfall, aber er hatte weder die medizinischen Kenntnisse geschweige denn die Geräte, um es festzustellen. Er fand keine Alternative: Er konnte Patrick nicht einfach hier lassen. Er musste ihn wecken, entweder um ihn mit zum Wagen zu nehmen oder um ihm mitzuteilen, dass er Hilfe holen würde. Er wünschte sich einen Eimer kalten Gebirgswassers, verwarf den Gedanken aber sofort. Abgesehen von der zweifelhaften Unternehmung, hier oben Wasser zu finden, war es zu riskant, Patrick einem solchen Schock auszusetzen. So griff er nach Patricks linker Hand, spreizte dessen kleinen Finger ab und drückte eine Stelle knapp unterhalb des Nagelbettes mit seinem eigenen Fingernagel ein: eine Hand voll Akupressurpunkte hatte er sich während seiner Chinastudien merken können. Dieser sollte Bewusstlose aus ihrer Ohnmacht erwecken. Ausprobiert hatte er es aber noch nicht.
Tatsächlich begann Patrick, sich zu bewegen. Erstaunt hob Peter eine Augenbraue, offensichtlich funktionierte diese Methode sogar, wenn man selber nicht dran glaubte. Patrick schlug die Lider auf, schwer und zittrig.
»Patrick! Ich bin es, Peter. Wie geht es Ihnen? Können Sie sprechen?«
»Was... ist passiert?« Patrick hatte Mühe, die Worte zu artikulieren.
»Sie haben einen Schock. Sie sitzen in einer Höhle in Frankreich auf dem Boden.«
»Das weiß ich doch. Was ist mir passiert?« Langsam kehrten ein paar Lebensgeister in Patrick zurück. Er griff sich an den Kopf und umfasste ihn mit beiden Händen.
»Sie haben Ihren Kopf in den Durchgang gesteckt. Ich habe Sie zurückgerissen. Haben Sie Schmerzen? Können Sie aufstehen?«
»Ich weiß nicht. Ich glaube, ich bir einigermaßen okay.«
»Stehen Sie langsam auf. Wir sollten draußen ein wenig Luft schnappen. Wenn es geht, sollten Sie versuchen, mit meiner Hilfe den Abstieg zu schaffen. Sie müssen in ärztliche Behandlung.«
Patrick stand langsam auf und ging mit wackeligen Schritten zum Höhleneingang, wo er sich an die Felswand lehnte. Seine zittrigen Finger holten die Zigarettenpackung aus seiner hinteren Hosentasche und pulten schließlich am Papier der zerknautschten Öffnung.
»Ich halte das für keine gute Idee«, wandte Peter ein.
»Ich schon.« Patrick zündete die Filterlose an, doch er hatte kaum einen Zug getan, als es ihm jäh die Kehle zuschnürte. Er hustete und würgte und spuckte dabei die Zigarette auf den Boden. Speichel lief ihm im Mund zusammen,
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