Projekt Babylon
Michaut reichte dem Grafen ein Glas und setzte sich dann ebenfalls.
»Ich danke Ihnen für Ihre Mühe«, sagte der Graf und hob das Glas.
»Seien Sie sich meiner Zuneigung versichert, Monsieur le Comte. Auf Ihr Wohl.«
»Und das Ihrige.«
»Wie Sie sich denken können, beruht meine Einladung dennoch nicht auf reiner Zuneigung.«
»Für derlei Streben bleibt den Mächtigen dieser Welt selten Zeit.«
»Wie immer kann ich mich auf Ihr Verständnis verlassen... und ich hoffe, dies auch weiterhin zu können.« Der Präsident stand auf und stellte sich neben den Kamin, wo er sich am Sims festhielt. »Ich benötige Ihre Hilfe.«
Der Graf blickte auf und nickte. Es war nicht festzustellen, ob er dies aus Zustimmung tat, aus Höflichkeit, oder weil er dies erwartet hatte. »Welche Art von Hilfe erhoffen Sie sich von mir?«
»Ich weiß, dass Sie kein politischer Mensch sind, Monsieur le Comte, dennoch benötige ich einen politischen Rat.«
»Wie könnte das, was mich in Ihren Augen unpolitisch macht, mich für einen politischen Rat qualifizieren?«
»Wenn ich Sie als unpolitisch bezeichne, wollte ich damit nicht Ihr Wissen um politische Zusammenhänge ausschließen. Es ist vielmehr Ihre offensichtliche Entsagung politischer Geschäfte oder Ihr fehlendes Engagement für eine politische Richtung oder Sache, die mich zu dieser Einschätzung führt. Ich möchte Sie damit keinesfalls kritisieren, bitte verstehen Sie mich nicht falsch.«
»Ich fühle mich nicht kritisiert. Und Sie haben sicherlich Recht, ich bin kein politischer Mensch. Doch um der Sache gerecht zu werden, sollten wir in Betracht ziehen, ob nicht erfolgreiches politisches Wirken unbemerkt bleiben muss, und ob fehlendes Engagement für eine Richtung oder Sache nicht eine Kritik an ebenselbiger impliziert.«
Der Präsident konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. »Ebendies ist es, was ich so sehr an Ihnen schätze, Monsieur le Comte. Und es ist dieser Scharfsinn, den ich benötige. Wenn ich um einen politischen Rat bat, so habe ich mich vielleicht auch falsch ausgedrückt. In der Tat benötige ich einen Rat für meine Arbeit, in dieser Hinsicht ist er politischer Natur. Gleichwohl ist allein Ihr analytischer Verstand vonnöten, mir weiterzuhelfen.«
»Worum geht es?«
»Wie Sie wissen, ist meine Position in der Partei sehr sicher und bis auf die Kritik der linken Opposition – die sich allerdings im üblicherweise zu erwartenden Rahmen bewegt – unangefochten. Meine Arbeit ist erfolgreich, und die Medien sind weitestgehend auf meiner Seite, die Bevölkerung ebenfalls. Auch die nächste Amtsperiode ist mir sicher, die Wahlen könnten ausgehend von den letzten Prognosen fast schon als pro forma bezeichnet werden. Natürlich kann und werde ich mich nicht darauf verlassen, aber die allgemeine Lage gibt zumindest keinen unmittelbaren Grund zur Besorgnis.«
»Dennoch...«, begann der Graf und wartete darauf, dass der Präsident den Satz zu Ende führte.
»Dennoch gibt es seit einigen Tagen plötzlich sehr starken Widerstand in der Industrie, und ich kann mir weder erklären, wie dieser zustande kommt, noch bin ich mir sicher, wie ich dem entgegentreten sollte oder kann.«
»Was analysieren Ihre politischen Berater?«
»Ihre Theorien sind vielfältig. So vielfältig, dass ich wage, sie als ratlos zu bezeichnen. Bestenfalls vermuten sie ein industrielles Ränkespiel mit internationalen Partnern, möglicherweise anderen Staaten.«
Der Graf schenkte sich ein wenig Wein nach. Ein rotgoldener Siegelring blitzte im Schein der Flammen auf. »Ihnen missfällt dieses Szenario?«, fragte er den Präsidenten.
»Es scheint mir etwas zu weit hergeholt, um so unvermittelt hereinzubrechen. Hätte es internationale Ausmaße, müsste ich zudem ganz neue Stellen einbinden und Verbindungen wirksam machen, was sich wiederum nur mit ausreichend eindeutigen Hinweisen verantworten ließe.«
»Wie äußert sich der Widerstand, von dem Sie sprechen?«
»Seit Jahren habe ich immer sehr gute Kontakte zur Industrie. Die Macher und Entscheider unserer Wirtschaft sind der Motor der Maschine dieses Landes, die Politik ist lediglich das Öl. Ich erzähle Ihnen nichts Neues.«
»Nein.« Der Graf sah in die Flammen. »Wir haben alles durchgemacht. Religion, Philosophie, Politik, Soziologie, und es sind Ideologien geblieben. Nur das Geld und dessen Wirtschaft haben sich immer wieder als endgültig wirksam erwiesen.«
»Die Banque Parisienne hat ihre Verträge mit der Partei
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