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Projekt Babylon

Titel: Projekt Babylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Wilhelm
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erwartet. Als sie mit der abgedunkelten Limousine vorfuhren, wartete dort bereits eine Gruppe Journalisten. Bevor er ausstieg, griff Jean-Baptiste Laroche in die Innentasche seines Jacketts, holte ein Lederetui hervor und klappte es auf. Darin lag, sorgfältig in der Mitte gefaltet, ein einzelner Zettel. Er enthielt nur wenige Zeilen Text. Auf der linken Seite stand:

    Dagobertus in te

    rex es

    si exsurrexeris,

    te sequentur

    et magnum imperium delebis.

    Es waren die Worte, die der Schäfer ihm im Wahn seiner Umnachtung prophezeit hatte. Die Übersetzung lautete:

    Dagobert ist in dir,

    Du bist ein König.

    Wenn du dich erhebst,

    Wird man dir folgen

    Und du vernichtest ein großes Reich.

    Zufrieden lächelte er in sich hinein. Dafür hatte es sich gelohnt, das Languedoc jahrelang auf der Suche nach merkwürdigen Vorfällen zu beobachten. Nur ein lokales Blatt hatte vom angeblichen Unfall des Schäfers berichtet, aber Laroche war dem nachgegangen, hatte ihn besucht und Recht behalten. Er verstand zwar nicht wie, aber der Schäfer schien Zugang zu höherem Wissen erlangt zu haben, und wie Frankreich schon Jeanne d'Arc gefolgt war, würde es auch dem neuen König folgen.
    Als er schließlich aus dem Wagen schlüpfte und sich aufrichtete, empfing ihn zwar kein Blitzlichtgewitter, aber ein Schwall von Fragen prasselte auf ihn ein, wie Glückwünsche auf einen Profifußballer nach einem gewonnenen Länderspiel. Natürlich hatte er nicht vor, auch nur eine Einzige davon zu beantworten, aber er genoss die Aufmerksamkeit und tat sein Bestes, um das Interesse der Reporter an ihm aufrechtzuerhalten.
    »Was ist der Grund für dieses Treffen?«
    »Wollen Sie Koalitionsgespräche führen?«
    »Wie ist Ihre persönliche Beziehung zu Präsident Michaut?«
    Er blieb am Wagen stehen und schaute lächelnd in die Runde. Dann holte er tief Luft und vermittelte mit seiner Mimik den Eindruck, als wolle er sich jetzt ausführlich vor der Menge äußern. Er erreichte damit, dass die Fragen abebbten und ihn die Journalisten einen Augenblick erwartungsvoll anstarrten.
    »Vielen Dank für Ihre Fragen, mein Pressesprecher ist gerne bereit, Ihnen Auskunft zu erteilen. Entschuldigen Sie mich.« Er zwängte sich durch die Menschen, die sein Sekretär bereits bemüht war, auseinander zu drängen. Ungehaltene Töne wurden jetzt in der Menge laut, aber Jean-Baptiste ignorierte sie und betrat das Foyer des Gebäudes, von dem die sensationshungrige Meute durch zwei Wachmänner fern gehalten wurde.
    »Sind Sie sicher, dass Sie meine Hilfe nicht benötigen?«, fragte der Sekretär.
    »Ja, vielen Dank. Ich denke nicht, dass das Gespräch länger als eine Stunde dauert. Aber wenn doch, können Sie ja hochkommen und mich auslösen.«
    Sie gingen zum Empfang, und Jean-Baptiste Laroche wurde kurze Zeit später durch die Sicherheitsschleuse gelassen. Man begleitete ihn in den sechsten Stock und führte ihn bis in das Empfangszimmer des Präsidenten.
    »Es dauert noch einen Augenblick«, sagte die Vorzimmerdame. »Bitte setzen Sie sich. Möchten Sie in der Zwischenzeit etwas trinken?«
    Er sah sich um und ließ sich in der Ledergarnitur nieder. »Ja, gerne«, antwortete er. »Ein Glas Champagner.«
    Die Dame sah ihn einen winzigen Moment mit großen Augen an, hatte ihre Fassung aber sofort wiedergefunden. Sie führte ein kurzes Telefonat und widmete sich dann wieder ihrer Arbeit.
    Er konnte nicht sagen, welcher Teufel ihn geritten hatte; eigentlich mochte er gar keinen Champagner, aber er hatte plötzlich das Bedürfnis gehabt, seinem Hochgefühl auf diese Weise Ausdruck zu verleihen. Er konnte noch nicht einmal genau sagen, warum er sich so gut fühlte. Er hatte keine Agenda für dieses Treffen bekommen, aber er ahnte schon, warum Michaut sich mit ihm treffen wollte. Er konnte nicht nachvollziehen, warum sich der Mann diese Blöße gab.
    Eine junge Dame kam herein und brachte ein Glas Champagner auf einem Tablett. Laroche nahm es entgegen, nippte daran und ließ es dann stehen. Es gefiel ihm nicht, dass Michaut ihn warten ließ. Aber er konnte sich gut vorstellen, dass der Präsident gerade in der letzten Zeit alle Hände voll zu tun hatte. Sein Widersacher lächelte spitz. Dieser Gedanke erheiterte ihn nun wieder.
    Schließlich öffnete sich eine Tür, und Präsident Michaut trat ein. Er ging auf Laroche zu und reichte ihm die Hand.
    »Es freut mich, dass Sie kommen konnten, treten Sie doch bitte ein.« Er führte den Gegenkandidaten in das Büro,

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