Projekt Babylon
gewarnt worden waren, dass er sich möglicherweise Einlass verschaffen würde. Es mochte gut sein, dass die Ranger die Absperrung nun strenger überwachten, daher wollte er keine Aufmerksamkeit erregen.
War der Wald anfangs noch mühelos zu durchdringen, ließ sich der Weg nach einer Weile immer schwerer bewältigen. Die Bäume standen zwar nicht mehr so dicht, aber dafür versperrten zunehmend große Felsen den Weg. Das Unterholz war unwegsam und bildete zusammen mit den Gesteinsbrocken und dem Geröll gefährliche Wälle, fast schon eine Art natürliche Barrikaden. Gleichzeitig wurde der Untergrund immer steiler. Der Förster wusste, dass er bald die Baumgrenze erreicht hatte. Es dauerte länger als erwartet, bis er schließlich an die Felswand kam. Wie er gehofft hatte, war nirgendwo ein Zaun zu sehen, und es war an dieser Stelle ja auch scheinbar nicht notwendig. Die Wand machte einen soliden und unbezwingbaren Eindruck – zumindest ohne die richtige Ausrüstung.
Er hielt sich rechts und schritt den Fels entlang. Er hatte sich im Wald etwas zu weit links gehalten und war deshalb an der falschen Stelle herausgekommen. Nun suchte er eine ganz besondere Felsspalte.
Dieses Gebiet am Fuß des Vue d'Archiviste war ihm wohl vertraut. Vor einigen Jahren hatte er mehrere Wochen im Sommer damit verbracht, den Berg zu erkunden. In diesem Teil des Languedoc gab es kaum Berge, die sich nicht auf die eine oder andere Art besteigen ließen. In der Regel gab es entweder einen relativ leichten Aufstieg an einer sanft ansteigenden Seite, den man auch als Wanderer mit ein wenig Ausdauer und Kondition wagen konnte. Oder aber es gab Zugänge von einem anderen Berggipfel über die Kämme hinweg. Der Vue d'Archiviste war eine Ausnahme. Er stand ziemlich isoliert, so dass es keine andere Möglichkeit gab, ihn zu erreichen. Man musste sich ihm von unten nähern und die Spitze direkt besteigen. Fernand Levasseur war kein Bergsteiger oder Sportler, deswegen hatte er lange Zeit damit verbracht, einen Weg zur Spitze zu finden, ohne sich mit Steigeisen und Seil an die Steilwand wagen zu müssen. Er wusste, dass man auf der anderen Seite des Berges durch den Wald ziemlich weit nach oben gelangen konnte. Auch dort stieß man irgendwann an eine Felswand, doch die machte einen relativ harmlosen Eindruck, wenn man sich darauf vorbereitete. Nachdem er diesen Weg gefunden hatte, war es immer sein Ziel gewesen, dort einmal einen Aufstieg zu unternehmen. Aber irgendwie war er nie dazu gekommen. Besonders nicht, nachdem Fauvel Bürgermeister geworden war und es dauernd Auseinandersetzungen zwischen der Umweltbehörde und dem Bauamt gab.
Es dauerte nicht lang, da fand er die Felsspalte wieder. Genau genommen war es mehr als eine Felsspalte. Aber das sah man erst, wenn man sich die ersten paar Meter hindurchgezwängt hatte. Dann weitete sich der Spalt, so dass man bequem darin stehen konnte. Vor Jahrhunderten oder noch längerer Zeit musste der Berg an dieser Stelle auseinander gebrochen sein. Vielleicht war er auch im Laufe der Zeit immer weiter auseinander gedriftet. Tonnen von Geröll waren in den Spalt gefallen, Sträucher wuchsen hier. Er war diesem Weg noch nicht weit gefolgt, aber den Rand der Spalte säumten viele Absätze; mit ein wenig Vorsicht konnte man hier ziemlich weit nach oben gelangen. Außerdem waren viele Aushöhlungen entstanden – entweder durch eingebrochene Höhlen oder auch einfach durch Regenwasser und Gesteinsschutt, der sich gelöst hatte. Der Spalt zog sich viel weiter durch den Fels als ein bloßer Riss im Berg.
Der Förster folgte dem versteckten Hohlweg und arbeitete sich langsam, aber ohne große Mühe, stetig höher. Einige Male lösten sich kleinere Steine unter ihm, aber großenteils war der Untergrund stabil. Wenn er abgerutscht wäre, hätte er vielleicht zwischen den Steinbrocken stecken bleiben oder Geröll mitreißen und sich alle möglichen Knochen brechen können. Aber er hatte für gutes Schuhwerk gesorgt und tastete mit Händen und Füßen alles ab. Der Spalt führte ihn nach etwa einer weiteren halben Stunde auf eine Felsterrasse. Er trat vorsichtig an den Rand und blickte in die Tiefe, um sich zu orientieren. Er konnte kaum glauben, dass er offensichtlich mehrere hundert Meter überwunden hatte. Der Wald war völlig zurückgewichen. Von einer Absperrung, einem Zaun oder von den Rangern war nichts zu sehen. Er befand sich aber immer noch auf der rückwärtigen Seite des Berges, derjenigen, die nicht
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