Projekt Babylon
Garten hinaus.
Der letzte Tag war sehr aufschlussreich gewesen. Jeder der drei hatte viel recherchiert, und er hatte das Gefühl, dass sie gut vorangekommen waren. Sie hatten vereinbart, dass sie sich nicht gegenseitig unterbrechen, sondern sich vollständig auf die Arbeit konzentrieren würden. Abends waren sie in den Ort gefahren, um im Chez Lapin einzukehren. Es war ein gemütlicher Ausklang geworden, sie hatten kein Wort über ihre Arbeit verloren, sondern dies auf den nächsten Tag verschoben. Stattdessen hatte Patrick von seiner Expedition in Rom erzählt und wie es ihm gelungen war, illegal in die Katakomben einzudringen, um den Beweis seiner Theorie zu erbringen, dass sich direkt unter der Via del Corso eine frühchristliche Kapelle befand.
Überall unter Rom erforschte man die Katakomben. Alle bekannten Zugänge waren gut gesichert. Trotz aller Sicherheitsvorkehrungen der Behörden dort einzudringen, war üblicherweise nur mit ein paar guten Kontakten und finanziellen Zuwendungen zu schaffen. In den letzten Jahren hatte die Korruption in Italien die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit aber immer mehr auf sich gezogen, so dass es zunehmend schwieriger wurde, an die richtigen Leute heranzukommen. Patrick hatte kein Risiko eingehen wollen und sich daher in Handarbeit Zugang verschafft , wie er sich ausgedrückt hatte. Er hatte die Pläne der Katakomben lange studiert und sich schließlich eines Nachts unerkannt durch den Boden der Krypta der Kirche Santa Trinita dei Monti in die unterirdischen Gänge gegraben. Von dort hatte er sich mit zwei Helfern und einer umfangreichen Ausrüstung aufgemacht bis zu einem erst kürzlich entdeckten Fresko. Jeder Quadratzentimeter davon war in den letzten Jahren bereits abfotografiert und im Computer vollständig rekonstruiert worden. Aber es fehlte das Geld, um die Wandmalerei an Ort und Stelle zu restaurieren. Nun, da sie nach fast zweitausend Jahren ihrer schützenden Lehmschicht beraubt war, würde sie sich in den nächsten paar Jahren ohnehin auflösen, daher hatte er keine Skrupel, als er die Wand einriss. Dahinter lag wie erwartet ein Gang, der ihn zu der Kapelle führte, auf deren Spur er monatelang gewesen war. Es war ein wirklich Aufsehen erregender Fund, und die Bibelfragmente aus dem zweiten Jahrhundert nach Christus, die er dort fand, machten die Sensation komplett. Natürlich war der Frevel an der Krypta und dem Fresko tagelang das Gesprächsthema Nummer eins in den römischen Tageszeitungen. Es gab eine Menge Ärger in der Folge, und nur seine guten Kontakte zu verschiedenen Interessenten in der Industrie konnten Patrick aus dem Gröbsten heraushalten und ermöglichten es ihm, unbeschadet aus der Sache herauszukommen.
Peter wurde aus seinen Gedanken an die Erzählung des Franzosen gerissen, als ihm serviert wurde. Die Croissants waren so frisch, dass sie noch dampften, und er orderte ein weiteres Kännchen Tee.
Wie erstaunlich es sich manchmal fügt, überlegte er. Dass zwei Menschen, die so unterschiedlich waren wie er und Patrick, nun zusammenarbeiten und sich ergänzen mussten. Der Franzose schenkte den altertümlichen Legenden und Hinweisen prinzipiell Glauben, verfolgte sie und nahm schließlich eine Schaufel in die Hand, um an Ort und Stelle nachzusehen. Er selbst, Peter, versuchte stets, die zunächst wahre Geschichte hinter den Legenden zu durchleuchten. Er glaubte erst einmal überhaupt nichts, sondern forschte und kombinierte so lange, bis er alles seiner Geheimnisse beraubt hatte und es nichts mehr gab, nach dem sich zu graben gelohnt hätte.
So hatte er lange Zeit den Aberglauben und die verschiedenen okkulten Strömungen der westlichen Welt untersucht. Was mit ein paar wenigen Einstiegspunkten begonnen hatte, hatte sich schnell als ein wild gewuchertes Wurzelgeflecht entpuppt, in dem alles miteinander verbunden und voneinander durchdrungen war. Unzählige Religionen, Sekten, Glaubensgemeinschaften, Traditionen und Überlieferungen, alles baute aufeinander auf oder ging im Laufe der Jahrhunderte ineinander über. Mit wissenschaftlicher Distanz hatte er sich der Themen angenommen, hatte sie analysiert und alles zueinander in einen Zusammenhang gestellt. Aber die Gespräche, die er geführt und die Informationen, die er erhalten hatte, waren nicht selten sehr leidenschaftlich und bisweilen äußerst dogmatisch und unfreundlicher Natur gewesen, und je weiter er vorgedrungen war, umso mehr kam es ihm vor, als habe er die Büchse der Pandora
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