Projekt Babylon
Geschichte fest!«, sagte Peter. »Denken Sie an die übertragene Bedeutung. Der Baum der Erkenntnis auf der einen Seite, die Höhle des Wissens auf der andern. Stellen Sie sich ein Wissen vor, das das Ihre um ein Mehrfaches übersteigt, das Ihre geistigen und intellektuellen Fähigkeiten schlicht überfordert. Würden Sie einem solchen Wissen ausgesetzt werden, was könnte passieren? Aus psychologischer Sicht?«
Patrick betrachtete ihn aufmerksam.
»Ich sage es Ihnen«, fuhr Peter mit gedämpfter Stimme fort. »Wenn Sie es überhaupt verkraften könnten, würden Sie sich plötzlich unglaublich unbedeutend vorkommen. Vielleicht würden Sie auch verzweifeln, davonlaufen, oder Sie würden schlichtweg auf der Stelle wahnsinnig werden.«
Patrick lächelte plötzlich nicht mehr und schwieg.
»Ich stelle mir vor, dass im Laufe der Jahrhunderte durchaus einige Menschen die Höhle gefunden und den Durchgang passiert haben. Dort sind sie in irgendeiner Form in Berührung mit gewaltigem Wissen gekommen. Viele ertrugen es sicherlich einfach nicht, genauso wie der arme Schäfer. Nun, immerhin hat er Latein gelernt. Aber was für ein schwacher Trost! Jetzt dämmert er stumpfsinnig seinem Tod entgegen. Andere waren vielleicht etwas glücklicher. Ihnen verblieb noch so viel Verstand, dass sie beim Verlassen der Höhle die wunderbaren Urtexte mit kritischen oder höhnischen Kommentaren versehen haben, entsprechend ihres geistigen Zustands mit mehr oder weniger Sorgfalt, aber nicht mit weniger Intelligenz.«
Patrick hatte den Blick an die Decke gerichtet und sagte noch immer nichts. Etwas beschäftigte ihn.
»In der Folklore ist der Teufel als Herr der Lügen bekannt«, sagte Peter. »Aber wissen Sie, was man in okkulten Kreisen über den Teufel denkt? Dass er niemals lügt. Und wenn die biblische Schlange der Teufel war, dann hat er vielleicht wirklich die Wahrheit gesagt: Die verbotene Frucht verlieh Adam und Eva die göttliche Erkenntnis. Sie enthielt möglicherweise tatsächlich das gesamte Wissen des Schöpfers. Doch der Geist der Menschen war einfach nicht reif dafür, und so wurden sie von der Erkenntnis wie von einem Dampfhammer getroffen und aus der Bahn geworfen.«
»Bilder«, sagte Patrick auf einmal und sah mit großen Augen in die Runde. »Unendlich viele Bilder waren da.«
»Wovon sprechen Sie?«, fragte Stefanie.
»Ich erinnere mich jetzt. Es war eine Flut von Bildern. Wie ein Feuerwerk im Schnelldurchlauf, regelrechte Blitze, wahnsinnig grell und völlig bunt.«
»Sie meinen, als Sie den Kopf in den Durchgang gesteckt haben?«, fragte Peter.
»Ja, Es ging so unglaublich schnell, und ich konnte mich nicht bewegen. Es war so viel, dass ich das Gefühl hatte, ich hätte mich aufgelöst und befände mich in hunderttausend Spielfilmen zugleich. Landschaften und Personen tauchten auf, die ich noch nie gesehen habe, Gebäude, Schriften, Dokumente – so unglaublich viel und in einer affenartigen Geschwindigkeit! Gleichzeitig habe ich alle Geräusche gehört, die zu den Bildern gehörten: Gerede, Schreie, Töne, Musik, alles genauso schnell, verzerrt und total laut. Es war, als ob das alles irgendwie komprimiert war, verstehen Sie? Es waren alle Informationen darin, aber so sehr gestaucht, dass sie sich in meinem Kopf erst hinterher einzeln auseinander gefaltet haben. Ich weiß, das klingt bescheuert, aber ich weiß nicht, wie ich es sonst beschreiben soll. Vielleicht habe ich auch deswegen danach so lange geschlafen, keine Ahnung. Jedenfalls war es heftig! Ich hatte das völlig vergessen, erst jetzt, als Sie davon erzählt haben, ist mir das Ganze nach und nach wieder eingefallen!« Patrick stand auf, fingerte mit zitternden Fingern eine Zigarette aus seiner Packung und ging zum Fenster. »Scheiße, Mann, das war echt knapp. Wenn Sie mich nicht zurückgezogen hätten... ein paar Augenblicke länger nur... wahrscheinlich wäre mir der Schädel geplatzt oder so etwas... verdammt...«
Peter und Stefanie hatten den Franzosen während seiner Schilderung nur stumm angesehen.
»Die Höhle der Erkenntnis«, murmelte Peter. »Der Heilige Gral... Nun, gut«, sagte er dann laut. »Dann interessiert es Sie vielleicht zu erfahren, was ich über Montségur und die Templer herausgefunden habe.«
Patrick nickte nur schwach.
»Zunächst einmal muss ich meine Meinung über das Internet revidieren.« Peter deutete auf den Rechner. »Stefanie hat mir gestern gezeigt, wie man E-Mails schreibt und wie man recherchiert.
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