Projekt Babylon
des letzten Abendmahls«, sagte Patrick.
»... worin Joseph von Arimathäa Jesu Blut auffing, als dieser am Kreuz von der Lanze des Soldaten verletzt wurde«, beendete Peter den Satz. »Ja, das ist die klassische Lesart, aber diese wird inzwischen fast ausnahmslos als Metapher ausgelegt. Heute betrachten manche den Gral als eine intellektuelle Hinterlassenschaft, wieder andere als ein Erbe in einer Blutlinie. Es scheint aber jedenfalls nicht um einen geldwerten, materiellen Schatz zu gehen. Der Reichtum der Templer war ein Symptom, aber keine Ursache für ihren Erfolg.«
»Erbe in der Blutlinie? Wie meinen Sie das?«
»Sie kennen die berühmte Inschrift ›INRI‹, die die Römer an dem Kreuz befestigten. Es war die Abkürzung für Jesus von Nazareth, König der Juden«, ein Hohn der Römer, laut Bibel. Aber neueren Theorien zufolge war das möglicherweise sehr ernst gemeint: Jesus stammte vielleicht tatsächlich von einem Herrscherhaus ab, so dass seine Blutlinie extrem wichtig war, selbst ohne religiöse Interpretation. Und über das Fortbestehen von Jesu Blutlinie – heilig oder irdisch – gibt es verschiedene Versionen. Eine lautet, dass Jesu Tod inszeniert war, dass er nicht auferstand, sondern gar nicht erst starb. Der Schwamm mit Essig, der dem durstigen Gekreuzigten gereicht wurde, war keine Bosheit, sondern diente als natürliches Anästhetikum. Der lediglich betäubte Mann wurde schließlich von seinen Anhängern aus dem Felsengrab befreit, er lebte fort, zeugte mit Maria Magdalena Kinder und sicherte so seine Blutlinie. Man vermutet sogar, dass der Begriff ›Heiliger Gral‹, der in den mittelalterlichen Dichtungen auf Altfranzösisch unerklärt bleibt, dort seinen Ursprung hat: ›San Graal‹, eine vielleicht unbeabsichtigte Verwirrung mit ›Sang Réal‹, in heutiger Schreibweise ›Sang Royal‹, was so viel heißt wie ›Königliches Blut‹. Einer anderen Interpretation zufolge soll der Apostel Jakobus in Wirklichkeit der Zwillingsbruder Jesu gewesen sein. Auf Leonardo da Vincis Abendmahl-Gemälde sähe man sogar die Ähnlichkeit der Brüder. In jedem Fall hätte aber eine Verwandtschaft zu Jesus weiter bestanden, und die Templer hätten dies verfolgt und aufgenommen. Sie wären also die tatsächlichen rechtmäßigen Erben von Jesus.«
»Dann waren aber zum Zeitpunkt der Verhaftung... wann war das? Dreizehnhundertirgendwas? Jedenfalls waren damals aber scheinbar keine Verwandten mehr übrig, für die es sich gelohnt hätte, weiter standzuhalten, oder warum ergaben sie sich?«
»Ja, es ist ein merkwürdiges Szenario, das letztlich kaum eine Frage beantwortet.«
»Und was meinten Sie mit intellektueller Hinterlassenschaft? Dass die Templer ihr Wissen hinterlassen haben?«
»Ja, das wäre die andere Alternative. Welches geheime ›okkulte‹ Wissen sie auch immer besessen haben mögen: Vielleicht war dies ihr Schatz, und sie haben ihn in Form von Dokumenten oder Büchern oder sonst wie hinterlassen. Der Großmeister hätte das Wissen niemals vernichtet. Aber er hätte das Wissen um den Zugang vernichtet. Die Karten, die Schlüssel. Vielleicht gibt es das geheime Wissen der Templer noch heute; gut versteckt oder verschlüsselt.«
»Sie denken an die Höhle...«
»Ja, und da kommen wir auch auf die Katharer und was die Templer mit ihnen zu tun hatten.«
»Sie sagen, sie hätten zusammengearbeitet.«
»Ja. Die Albigenserkreuzzüge begannen ja hundert Jahre vor der Zerschlagung des Templerordens. Während die Templer mehr und mehr zu einer politischen, weltlichen Macht geworden waren, hatten die Katharer, auch Albigenser genannt, die Waldenser und wie die ganzen Sekten hießen, sich des religiösen und philosophischen Gedankenguts angenommen. Es herrschte reger Austausch, intellektuell und wirtschaftlich, zwischen den Katharern und den Templern, die wie eine Art Schirmherren fungierten. Als die Verfolgungen der Katharer begannen, gewährten ihnen daher auch viele Templer Asyl, oder sie nahmen sie sogar in ihren Orden auf. Nur: Was hatten die Templer davon? Es ist durchaus möglich, dass hier noch eine andere Verbindung bestand. Und das war die Festung Montségur. Dieselbe Burg, auf der auch Wolfram von Eschenbach in seinem Parzival den Heiligen Gral platziert; nur nennt er sie › Munsalvaesche‹. Sie erinnern sich, dass die Burg 1244 nach einer halbjährigen Belagerung eingenommen wurde? Nun, um die Kapitulation ranken sich einige Legenden. Man munkelt, dass sie auf einen bestimmten Tag
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