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Projekt Ikarus 01 - Schatten und Licht

Projekt Ikarus 01 - Schatten und Licht

Titel: Projekt Ikarus 01 - Schatten und Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caitlin Kittredge
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Laub geht.
    »Du bist ein böses Mädchen, Joannie. Du hast die Regeln gebrochen, nicht wahr?«
    Sie schluckte. Die Schuldgefühle durchbohrten ihr mit heißen Stichen Magen und Herz.
    »Komm raus, Mädchen, und nimm deine Strafe auf dich wie ein guter Soldat der Schwadron. Ich werde dir nicht wehtun.«
    Sie hielt sich die Ohren zu und dachte: Lügner, Lügner, Lügner.
    Er rüttelte am Türknopf. »Zeit, rauszukommen. Umarm deinen Papa.«
    Genauso, wie er Mama umarmt hatte, kurz vorher. Papa hatte Bänder von Finsternis um Angelica geschlungen und sie immer fester zusammengedrückt. Vielleicht hatte ihre Mutter zuerst gedacht, es sei nur ein Spaß und sich deshalb so lange nicht gewehrt, bis es zu spät gewesen war. Vielleicht hatte sie sogar dann noch gedacht, es sei nicht ernst, als die tintenschwarzen Streifen sich wie hungrige Schlangen um sie wickelten. Vielleicht hatte sie gedacht, er spiele nur Gut und Böse mit ihr, so wie manchmal mit Joannie. Denn Angelica hatte zuerst nicht geweint. Auch dann nicht, als die schwarzen Bänder sie viel zu fest einschnürten. Mit einem geduldigen Lächeln hatte sie gewartet, als ob sie gewusst hätte, dass Blackout damit aufhören und alles wieder in Ordnung sein würde. Er konnte ihr doch niemals weh tun, nicht wirklich …
    Zumindest ging Joannie davon aus, dass ihrer Mama das durch den Kopf gegangen war. So hatte es für Joannie ausgesehen, als sie in die Küche schlich, um sich vor dem Abendessen einen dritten Keks zu stibitzen. Zu stehlen, wie ein Dieb. Sich etwas zu nehmen, das sie eigentlich nicht haben sollte.
    Papa hatte die Krümel auf dem Fußboden gesehen. Und sich kurz darauf in den furchterregenden Schatten verwandelt, der sie anbrüllte. Und als Angelica versuchte, ihn mit ihren Lichtkräften zu beruhigen, so wie sie es bei Joannie immer getan hatte, als diese als Baby flüsternde Stimmen in der Finsternis hörte, da ließ Blackout seine Schatten heraus und umarmte Mama mit ihnen.
    Joannie saß im Schrank, die Arme um ihre Beine geschlungen, sanft vor sich hin wimmernd. Und auf einmal begriff sie tief in ihrer Seele, dass das alles ihre Schuld war. Hätte sie nicht den Keks gestohlen, wäre das alles nicht passiert.
    »Joannie, willst du, dass ich reinkomme?«
    Sie schluckte, schwieg aber.
    »Hier komme ich, Joannie. Hier … komme … ich!«
    Genau dasselbe hatte er zu ihr gesagt, nachdem er Mama auf den Boden hatte fallen lassen – leer, verformt, gebrochen. Blutend. Joannie hatte Angelicas Körper nicht mal richtig sehen können -sie war zu sehr damit beschäftigt gewesen, an den Alarmknopf neben dem Comlink an der Wand zu gelangen. Sie rutschte in einer Pfütze von etwas Dickflüssigem, Rotem, Feuchtem aus und knallte ihre kleine Faust gegen den großen, roten Knopf. Man hatte ihr eingeschärft, das nie, nie, niemals zu tun. Außer, jemand war verletzt. Wer den Knopf nur aus Spaß drückte, der bekam so viel Ärger, dass er mindestens eine Woche lang nicht sitzen konnte.
    Denk daran, hatte Angelica sie von klein auf immer wieder ermahnt. Du darfst den Alarmknopf nur dann anrühren, wenn es einen Notfall gibt. Und sie hatte Joannie gelehrt, dass ein »Notfall« eine Situation war, in der man die Helden brauchte, und zwar schnell.
    Die Helden mussten kommen, sofort, und alles wieder in Ordnung bringen. Machen, dass Papa kein Monster mehr war und dass es Mama wieder gut ging. Machen, dass sie nicht mehr so schreckliche Angst hatte.
    Und so hatte sie den Alarmknopf gedrückt, war in ihr Zimmer gerannt, hatte die Tür zugeschlagen, war in ihren Kleiderschrank gelaufen und hatte dessen Tür verschlossen und sich in die hinterste Ecke verkrochen, in der Dunkelheit versteckt. Um darauf zu warten, dass der Albtraum aufhörte.
    Und dort in der Dunkelheit, die nackten Füße beschmiert mit dem Blut ihrer Mutter, fingen die Stimmen an, zu ihr zu flüstern.
    verloren so verloren kleines mädchen verlorenes kleines lämmchen
    Es klang, als seien die Stimmen Teil des Schrankes. Als ob sich die Wände abgelöst und in die Länge und in die Breite gestreckt hätten wie Papierrollen. Zu Wörtern zusammengeschoben, die auf die dicke Luft geklebt waren.
    Sie presste ihre Hände fest auf die Ohren. Versuchte, nur auf die Geräusche ihres Herzens zu hören, das wie verrückt in ihrer kleinen Brust schlug. Auf die Geräusche, die ihr stoßweiser Atem erzeugte. Versuchte, sich selbst davon zu überzeugen, dass sie ein wirklich mutiges Mädchen war und nicht ein bisschen Angst

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