Projekt Ikarus 02 - Im Zwielicht
benutzte eine künstliche Fackel, um ihre Kräfte zu fokussieren. Alles in allem sah sie ziemlich lächerlich aus mit ihrer Toga und der Zackenkrone. Und wenn sie schon ärmellos trug, fand Angelica, sollte sie sich wenigstens die Achseln rasieren. Victoria hätte wahrscheinlich das Gleiche gesagt, wenn sie hier wäre. Und zwar laut.
Liberty hielt sich nicht mit den üblichen Höflichkeiten auf. »Die Polizei hat ganz Alphabet City evakuiert, und die meisten Leute haben ihre Häuser auch wirklich verlassen. So weit, so gut. Wir wissen, dass Hypnotic sich in der Sozialbausiedlung verschanzt hat, aber es ist uns bisher nicht gelungen, ihn herauszulocken. Daher ist bisher nicht klar, in welchem der zehn Gebäude genau er sein Quartier aufgeschlagen hat. Seine Gefolgsleute machen es uns unmöglich, ihn auszukundschaften.«
»Gefolgsleute?«, fragte Angelica und blinzelte.
»Unschuldige, denen er eine Gehirnwäsche verpasst hat. Jetzt tun sie, was immer er von ihnen verlangt«, erklärte Liberty. »Es sind Hunderte.«
Oh Gott!
»Warum benutzt ihr kein Tränengas?«, fragte Luster.
Liberty rollte mit den Augen. »Herrgott, besten Dank für diesen brillanten Vorschlag. Darauf wären wir selbst nie gekommen, ganz zu schweigen davon, dass wir die Anforderung sogar schon gestellt haben. Die liegt jetzt allerdings schon seit Stunden auf dem Tisch des Bürgermeisters, weil der damit beschäftigt ist, eine Gewinn- und Verlustrechnung durchzusehen, die den Verbrauch an Material und Arbeitszeit gegen das Leben der geretteten NichtWähler abwägt.«
»Hausbesetzer?«, fragte Night.
»Einige, ja. Ein Großteil sind aber einfach nur Leute, die am Wahltag immer etwas Besseres vorhaben, als von ihrem Bürgerrecht Gebrauch zu machen.« Liberty schniefte verächtlich. »Pöbel eben. Wenn ihr mich fragt, sollten wir sie einfach Hypnotic überlassen und schleunigst von dieser beschissenen Halbinsel verschwinden. Aber der Gouverneur rastet aus, wenn wir die Sache nicht beenden, und zwar sofort.«
Angelica hätte der Lady am liebsten eine volle Breitseite mit ihren Superkräften verpasst, sie so wonnetrunken gemacht, bis sie nur noch ein Zombie wäre, und dann vom Dach gestoßen. Sie beherrschte sich bemerkenswert gut.
Ihr Ehemann eher weniger. »Also, warum verschwenden wir hier unsere Zeit mit dir?« Blackout ballte die Hände abwechselnd zu Fäusten und streckte sie wieder. »Zeig uns den Weg, Libby, und dann mach dich dünne!«
Libertys Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. »Hör mal zu, du Schattenfreak –«
»Kinder«, grollte Luster. »Immer schön brav sein.«
Die Toga-Frau starrte sie alle wütend an. »Einen Block die Achte rauf, und ihr kommt direkt zum Tompkins Square. Versucht, am Leben zu bleiben.« Mit diesen Worten stürmte sie davon, riss die Tür zum Treppenhaus auf und verschwand. Hinter ihr schlug die Tür mit einem lauten Knall zu.
»Start spreadin’ the news«, sang Blackout und rieb sich dabei genüsslich die Hände. »We’re leavin’ today …«
»Ruhe, Herrgott noch mal!« Night breitete die Arme weit aus und warf den Kopf in den Nacken, als wollte er jeden einzelnen Sonnenstrahl erhaschen. Angelicas Atem gefror, und sie zog ihren Umhang um sich zusammen. Ein Strom von Schwärze quoll unter Nights Füßen hervor und floss zu einer runden Lache zusammen. »Auf geht's.«
Angelica hielt Blackout umschlungen, und Luster legte eine Hand auf Nights Schulter. Dann schössen die vier in einem langen Bogen vom Dach herunter, fast zu schnell, als dass Angelica den verbrannten Geruch wahrnehmen konnte, der in der Luft lag und sie zu ersticken drohte.
»Schwarz und Weiß, endlich wieder vereint im Kampf«, sagte Blackout glücklich.
Night grollte: »Bitte! Halt den Mund!«
Vor ihnen tauchte die Sozialbausiedlung am Tompkins Square auf, ein Haufen Betonplatten, die von Elend und verlorenen Träumen kündeten. »Blackout«, schrie Luster, um das Geräusch des Windes zu übertönen, »mach mal den Geist und sag uns, was los ist. Ignoriere die Zivilisten. Ach, zum Teufel, ignoriere die ganze Schwadron New York. Geh einfach da rein, finde Hypnotic und erstatte Bericht.«
Der vergnügte Ausdruck auf Blackouts Gesicht versetzte Angelica einen Stich in die Magengrube.
Blackout benutzte die Technik, für die Night den Begriff Schattenschlüpfen geprägt hatte. Er transformierte sich tatsächlich in einen Geist, indem er für eine Weile selbst zum Teil des Schattens wurde. Nachdem er in eins der Gebäude
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