Projekt Sakkara
allein in der Finsternis zurück. Er hatte selten eine so vollkommene Abwesenheit von Licht erlebt. Das letzte Mal, so erinnerte er sich, war das in jener Höhle in Südfrankreich gewesen. Dort war es jedoch nur eine Fläche gewesen, hier aber umgab es ihn von allen Seiten. Er konnte die Dunkelheit fühlen, sie lastete wie eine dichte, schwere Masse auf ihm, drückte ihn nieder und stachelte ihn zugleich auf. Er verspürte den Zwang, seine Augen aufzureißen, wollte sich freikämpfen, die Decke wegreißen, nach oben schwimmen, aber es gab keinen Ausweg. Ihm brach kalter Schweiß aus. Langsam streckte er seine Arme seitlich aus, um etwas zu ertasten, einen Anker in der Leere zu finden, und zugleich fürchtete er, was er berühren könnte.
»Patrick? Hören Sie?« Seine Stimme erschien ihm dünn und wurde von den unzähligen, vollbeladenen Regalen um ihn herum verschluckt, so dass er nicht das Gefühl hatte, in einem großen Keller zu stehen, sondern vielmehr in einem luftdicht abgeschlossenen, kleinen Raum, einem staubigen, uralten Grab, umgeben von modrigem Holz, verfallenden Stoffballen und mumifizierten Leichen.
»Patrick! Sind Sie noch da?!«
Keine Antwort.
Er strengte seine Augen an, um etwas zu erkennen, hoffte, dass er sich an die Schwärze gewöhnen würde, aber es entstanden dabei lediglich schemenhafte Geisterbilder, die auch nicht verschwanden, wenn er die Augen schloss. Der Gedanke, zu lange gebannt in eine undefinierbare Richtung zu starren, erfüllte ihn zunehmend mit Unwohlsein. Er erinnerte sich der bedrohlichen Worte eines Okkultisten, mit dem Patrick und er während ihres letzten Projekts in Kontakt gekommen waren: »Wenn Sie lange genug in den Abgrund sehen, blickt der Abgrund zurück in Sie!«
Peter merkte, dass sein Atem schneller ging. Zu schnell. Und in seinem Hals bildete sich ein Kloß, der im Takt seines rasenden Herzens zuckte.
»Peter? Hören Sie mich?«
Es war die Stimme des Franzosen, die wie das schwache Blitzen eines Leuchtfeuers aus irgendeinem Teil des Kellergewölbes zu ihm gelangte. Es war nicht zu erkennen, aus welcher Richtung.
»Ich bin hier!«, gab Peter zurück und bemühte sich, seiner Antwort einen festen Klang zu geben.
»Hier hinten ist die Treppe. Finden Sie den Weg hierher?«
»Ich versuche es!«
»Folgen Sie meiner Stimme! Sie müssen eine Weile geradeaus gehen und an der zweiten Abzweigung rechts.«
»Ja, in Ordnung!« Im Gespräch mit Patrick schrumpfte Peters Angst auf ein erträgliches Maß. Zudem beobachtete er nun, dass über ihm blasse Streifen zu erkennen waren. Nachdem sich seine Augen an die Schwärze gewöhnt hatten, war er in der Lage, das schwache Nachglühen der Neonröhren auszumachen. Das Licht reichte nicht aus, um irgendetwas zu erhellen, aber es gab zum ersten Mal einen festen Orientierungspunkt und verwandelte die unendliche Finsternis in einen Raum von definierter Höhe.
Peter bewegte sich vorsichtig zur Seite, bis er zu seiner Rechten ein Regal berührte. Er glitt mit seiner Hand darüber, während er geradeaus ging. Nach einigen Schritten endete das Regal, er schien an eine Abzweigung gekommen zu sein. Unbeholfen machte er zwei weitere Schritte. Er fühlte sich wie ein Nichtschwimmer, der den Beckenrand losgelassen hat, um nun mit zwei verzweifelten Stößen die Tiefe zu überwinden und den gegenüberliegenden Rand zu erreichen. Er atmete erleichtert auf, als er hinter der Abzweigung ein weiteres Regal berührte. Nun ging er wieder sicherer, bis er den nächsten Gang erreichte.
»Ich bin an der zweiten Abzweigung!«, rief er.
»Gut«, kam die Antwort aus der Dunkelheit. »Gehen Sie nun rechts entlang. Ich bin dann im dritten oder vierten Gang links von Ihnen.«
»In Ordnung!«
Peter wandte sich nach rechts. Doch kaum hatte er einen Schritt gemacht, als er gegen ein massives Objekt stieß, das auf dem Boden stand und ihm bis zu den Knien reichte. Er verlor das Gleichgewicht, stolperte und versuchte, sich noch im Fallen irgendwo abzustützen. Seine Hand berührte eine steinerne Oberfläche, und er wollte sich daran festhalten. Aber das Objekt beugte sich schwerfällig zur Seite, und er rutschte ab. Mit einem Aufschrei schlug er mit dem Kopf auf den Boden.
»Peter! Alles klar bei Ihnen?«
Ein stechender Schmerz durchfuhr den Professor. Aber was viel schlimmer war: Er spürte, dass er von einem Gegenstand eingeklemmt und wie in einem Schraubstock zu Boden gepresst wurde. Im Fallen musste er eine große Statue oder Säule ins Wanken
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