Projekt Sakkara
ganz oben auf der Spitze ein kleiner Abschlussstein. Das war nicht unüblich, vielleicht nur einen Meter hoch, vielleicht zwei. So etwas könnte man hier durchaus finden.«
»Gut, meinetwegen. Dann halten wir mal die Augen offen. Wollen wir uns aufteilen?«
»Sicher, warum nicht. Rufen Sie, wenn Sie etwas gefunden haben, das irgendwie nach Echnaton, Djoser, Imhotep, Thot oder einem Pyramidion aussieht, ja?«
»Also ein Pyramidion werde ich ja noch erkennen, aber wie um Himmels willen soll ich wissen, nach welchem verflixten Pharao irgendetwas aussieht?«
»Na, dann suchen Sie eben nur nach einem Stein. Ich bin ja auch kein Ägyptologe. Ich vertraue darauf, dass Ihnen Ihr Instinkt genauso hilfreich sein wird wie mir mein bescheidenes Vorwissen.«
Patrick grinste schief und hob einen Zeigefinger. »Ich habe sehr wohl gemerkt, dass das ein kleiner Seitenhieb war.«
»Nicht doch.« Peter lachte, und kurz darauf war er in einem Gang verschwunden.
Als Patrick weiterging, wurde ihm klar, dass ihr Vorhaben dem Versuch glich, allein mit einem Streichholz ausgerüstet den Petersdom auszuleuchten oder mit einem Fingernagel einen Tunnel nach Japan zu graben. Er verstand sich weit besser auf die mittelamerikanischen Kulturen und hatte sich bisher nicht mit Ägypten beschäftigt. Aber nun erwachten in ihm die Neugier und jenes kribbelnde Gefühl, etwas Großem auf der Spur zu sein. Die Werte in diesem Keller waren unermesslich. Nicht nur materiell – er war sich wohl bewusst, welche Unsummen auf dem Schwarzmarkt für alle diese Stücke bezahlt wurden, sondern auch hinsichtlich der kulturellen Bedeutung und der Erkenntnisse, die man aus ihnen über die Vergangenheit der Menschheit ziehen konnte.
Er hielt einen Augenblick inne und wiederholte den letzten Gedanken. Noch vor wenigen Jahren wäre ihm so etwas nicht in den Sinn gekommen. Er hatte Forschungsgelder veruntreut, war in eine Krypta eingebrochen und hatte ein antikes Fresko eingerissen, um seinen Weg zu gehen. Zwar erfolgreich, aber nicht eines höhere Ziels wegen, sondern allein, um sich durchzusetzen und um recht zu behalten. Nun musste er sich eingestehen, dass etwas seine Sicht auf die Dinge verändert hatte. Es gab etwas dort draußen, etwas, das größer war als eine weitere Ruine oder ein weiteres Grab. Etwas, das älter war, als die Kulturen, zu denen die Forschung bisher vorgedrungen war. Etwas, das wertvoller war als alle Goldschätze Ägyptens. Es hatte mit Wissen zu tun, mit einer Erkenntnis, und es lag ganz nah und zugleich jenseits einer unsichtbaren Schwelle. Er fühlte, dass er und Peter auf dem richtigen Weg waren, aber er konnte noch nicht sehen, wo es sie hinführen würde.
»Patrick? Kommen Sie mal!«
Peters Stimme schallte von irgendwoher aus den verwinkelten Gängen.
»Wo sind Sie?«
»Hier drüben!«
Patrick ging dem Geräusch nach und benötigte eine Weile, bis er den Engländer in einer Nische am Ende eines Gangs ausfindig gemacht hatte. Peter stand neben einem Schreibtisch und begutachtete ein Buch, das aufgeschlagen vor ihm lag.
»Sehen Sie, was ich gefunden habe! Es ist so etwas wie ein Katalog des Fundus, und zwar aus den zwanziger und dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts.« Peter deutete auf eine Regalwand neben sich. »Hier stehen noch mehr davon, aus späteren Jahren. Die meisten sind natürlich auf Arabisch, aber wie Sie vielleicht wissen, war Ägypten vor dem Zweiten Weltkrieg quasi noch britisches Protektorat. Und das Museum wurde damals auch noch von Ausländern geleitet. Daher sind diese alten Dokumente auf Englisch oder Französisch verfasst.«
Patrick betrachtete das Buch. Es war eine einfach gebundene Sammlung diverser Papiere, Blätter unterschiedlicher Farben, und sie trugen Texte und Tabellen, zum Teil handschriftlich, zum Teil mit einer Schreibmaschine verfasst. Nummerierte Register am Rand schienen auf Monate hinzuweisen. »Wollen Sie etwa diese ganzen Loseblattsammlungen hier im Keller studieren?«
Peter setzte seine Lesebrille auf. »Wenn es sein muss, ja. Jedenfalls, solange wir Zeit haben. Aber ich habe eine gewisse Idee. Sehen Sie, wenn das Pyramidion in der neueren Zeit gefunden worden wäre, hätte man es fraglos schnell identifizieren können, und das Echo in der Presse wäre groß gewesen. Daher vermute ich, dass man es – wenn überhaupt – dann zu einer Zeit fand, als man es nicht recht einordnen konnte. Die umfangreichsten Ausgrabungen in Sakkara, wo der Djoser-Komplex steht, fanden Ende der
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