Projekt Sakkara
Artfakte gehuldigt wurde. Es war bekannt, dass der Mann eine rigide Einstellung ausländischen Forschern gegenüber sowie einen starren Willen hatte. Das würde ihren Termin nicht einfach machen, und so hatte Peter zugestimmt, Melissa einzubinden. Er fragte sich noch immer, wie weit er ihr vertrauen konnte. Er wusste so gut wie nichts über sie, und auf das, was sein leicht befangener französischer Kollege ihm über sie erzählte, mochte er nicht allzu viel geben. Er musterte sie verstohlen. Einen guten Geschmack hatte Patrick jedenfalls, so viel war sicher. Sie hatte sich für den Anlass sehr passend angezogen, ein langes grünes Kleid, das durch geschickt gesetzte Stickereien ihre Figur betonte, und unter der luftigen schwarzen Strickjacke konnte Peter dünne Träger und ein wunderbar betontes Dekollete erahnen. Ihm fiel auf, dass sie ihren Sekten-Anhänger nicht mehr trug. Das hatte er nicht erwartet.
»Es freut mich, dass es Ihnen gefällt«, sagte Melissa.
Erschrocken riss Peter seinen Blick los und suchte nach Worten. Er hatte einen Moment länger als höflich auf ihre Brust gestarrt, wenngleich aus anderen Gründen, als es vielleicht den Anschein haben mochte. Aber wie sollte er das erklären.
»Ich habe das Kleid aus London«, fuhr Melissa fort. »Eigentlich ist es etwas zu dunkel für Kairo. Hier in der Sonne trägt man sonst kräftige Farben. Aber abends ist es in Ordnung, und es passt zu meinen roten Haaren, finde ich.«
»Ja«, sagte Peter hastig, »in der Tat, das tut es.«
»Danke.« Sie lächelte ihn an.
»Wollt ihr noch eine Weile turteln«, warf Patrick ein, »oder können wir jetzt reingehen?« Er betätigte den Klingelknopf. Wenig später summte es am Tor, und sie konnten eintreten.
Dr. Aziz begrüßte sie auf den Stufen vor dem Eingang. Er trug eine khakifarbene Anzughose, ein schwarzes, in die Hose gestecktes Hemd und einen sandfarbenen Hut mit schwarzem Hutband. Er sah aus wie auf den meisten Fotos, die Peter von ihm gesehen hatte – inklusive Hut.
»Willkommen«, sagte der Ägypter und reichte jedem die Hand. »Bitte, kommen Sie herein.«
Sie betraten Räume, deren Einrichtung aus einer orientalischen Mischung aus rotbraunen gewebten Teppichen, geschnitzten Holzpaneelen und Lampen aus verziertem Messing und Silber bestand. Ohne weitere Worte führte Dr. Aziz sie in ein Wohnzimmer, wo sie sich niederließen.
Patrick entdeckte einen hellen Aschenbecher auf dem Couchtisch und zog eine Zigarette aus seiner Packung.
Als der Ägypter das sah, stand er wortlos auf, holte einen weiteren Aschenbecher aus Glas aus einer Schublade und stellte ihn vor den Franzosen.
Patrick wollte etwas sagen, aber Peter hatte die Situation schneller erfasst und kam ihm zuvor: »Eine wunderbare Alabasterschale ist das«, sagte er und beugte sich über das milchig weiße Objekt auf dem Tisch. »Aus der Zeit des Pharaos Ramses I., wenn ich mich nicht irre?«
Patrick hob nur scheinbar beiläufig die Augenbrauen und lehnte sich mit seiner Zigarette zurück. Das Gespräch wäre verdammt schnell zu Ende gewesen, vermutete er, wenn er da hineingeascht hätte.
»Das stimmt.« Dr. Aziz nickte. »Ich bin informiert worden, dass Sie am Völkerkundemuseum in Hamburg arbeiten, Professor Lavell. Verfügt man dort über eine ägyptische Abteilung und über ägyptische Schätze?« Er lächelte dünn.
Es war eine nur schlecht kaschierte Fangfrage, aber Peter wich ihr aus. »Ich habe vor einiger Zeit eine Ausstellung zum Thema »Fünftausend Jahre Schrift‹ betreut, und Ägypten spielte dabei eine zentrale Rolle.«
»Ich verstehe. Nun, Sie haben um einen Besuch gebeten, und Mister Guardners Bitte kann ich nicht abschlagen. Leider bin ich sehr beschäftigt. Worum geht es also?«
Peter studierte sein Gegenüber. Der Ägypter verschwendete keine Zeit mit Höflichkeiten. Sie wollten etwas von ihm, aber sie hatten ihm nichts zu bieten, und der Mann wusste das. Seine Gestik und Mimik strahlte Selbstgefälligkeit aus. Dies waren sein Land und sein Herrschaftsgebiet. Sein Englisch war ausgezeichnet, wenn auch von einem starken Akzent durchsetzt. Es war naiv gewesen zu glauben, dass sie ihn mit einer arabisch sprechenden jungen Frau beeindrucken könnten. Peter bezweifelte auch, dass sie mit Referenzen oder Schmeicheleien viel erreichen würden. Stattdessen mochte aber Dr. Aziz' Stolz seine Schwäche sein, überlegte er.
Peter spielte die schwächste Karte zuerst aus.
»Ich möchte Ihnen Melissa Joyce vorstellen«, sagte er.
Weitere Kostenlose Bücher