Projekt Sakkara
Macho, Enfant terrible, Diktator oder Schamane sein wollte. Schillernd, aber vollkommen bedeutungslos. Das Bild habe ich beim Eintritt in den Verein geschenkt bekommen, wie ich schon sagte. Es hängt dort für mich als Erinnerung an die Verwirrung und Selbstüberschätzung um uns herum, und daran, wie leicht es ist, auf den falschen Weg zu geraten.«
Patrick hob die Augenbrauen, als er ihre Erläuterungen hörte. Bei jeder anderen Person hätte es wie eine Ausflucht geklungen, aber es fügte sich in das Bild, das er von Melissa als intelligenter und willensstarker Frau hatte. »Warum bist du dann immer noch dabei?«, fragte er. »Im Grunde brauchst du diese Leute doch nicht mehr.«
»Du hast recht. Ich brauche sie nicht mehr. Ich warte nur auf den richtigen Augenblick, um mich Neuem zuzuwenden.«
»Und dieses Neue ... Soll ich das etwa sein?«
»Vielleicht ... « Sie sah ihn mit großen Augen an. Nach einer Weile fragte sie halblaut: »Liebst du mich?«
Patrick sah sie lange schweigend an, bevor er antwortete. »Ich schätze dich. Als Seelenverwandte, als Mensch, als Frau, als Freundin, als Begleiterin auf einem Weg. Als jemand, bei dem ich gerne bin, der mir Wärme, Freude und Zärtlichkeit gibt. Jemand, dem man immer alles Gute wünscht, den man nicht zurücklassen möchte. Aber« – wieder machte er eine Pause, zögerte, ob er sagen sollte, was ihm auf dem Herzen brannte – » ... ich liebe dich nicht in einem ausschließlichen und alles überstrahlendem Sinn. Verstehst du, wie ich das meine?
Du bist einzigartig, mir einzigartig, und du hast einen festen Platz in mir, aber es ist nicht dieser eine Platz, den man vielleicht meint, wenn man von der großen Liebe des Lebens spricht ... Verstehst du?«
Sie nickte, langsam, aber zustimmend. »Ja, ich weiß, was du meinst.« Dann lächelte sie. »Und es ist mir mehr als recht, dass du es so siehst.«
»Tatsächlich?«
»Ja!« Sie legte ihre Arme um seinen Hals und küsste ihn auf den Mund. Dann sah sie ihn an und grinste. »Du bist nämlich gar nicht mein Typ.« Sie küsste ihn erneut, warf ihr ganzes Gewicht auf ihn, und sie versanken innig umschlungen in einem Meer aus Kissen.
Patrick schlief schon einige Zeit, als Melissa noch immer wach lag. Eine Kerze neben dem Bett war inzwischen auf ein Drittel heruntergebrannt und erzeugte mit ihrer kleinen Flamme bewegliche Schatten an den Wänden. Melissa hatte Schwierigkeiten, einen Punkt an der Decke zu fixieren, immer wieder verschwamm alles vor ihren Augen. Zu viele Gedanken schwirrten durch ihren Kopf, immer wieder meinte sie, dieselben Worte zu hören, verfolgte mögliche Antworten und Reaktionen und kam wieder zum Ausgangspunkt zurück. Der Schlaf wollte sich nicht einstellen.
Wie schon am Abend zuvor entschied sie sich irgendwann aufzustehen. Sie zog sich nicht an, sondern setzte sich nackt an ihren Laptop und verharrte dort mehrere Minuten, starrte die geschlossene Klappe an, unfähig, eine Entscheidung zu treffen. Ein Frösteln ließ sie schließlich erschaudern. Sie atmete tief ein, öffnete den Rechner und startete ihr E-Mail-Programm. Sie beobachtete, wie ihre Brüste vom kalten Blau des Displays beleuchtet wurden. Dies war die reale Welt, die moderne Welt. Welchen Platz hatten darin Gedanken über arkanes Wissen und eine uralte Geschichte der Menschheit?
Ohne besonderes Ziel, einfach, um etwas zu tun, begann sie zu schreiben. Sie schilderte den Abend, wiederholte Patricks Worte und ihre eigenen Gedanken. Dann schrieb sie von ihrem eigenen Weg der Suche, erzählte von ihrer Arbeit, ihren Studien, den Büchern, die sie gelesen hatte, ihren Schlussfolgerungen, ihrer Schulzeit, ihrer Kindheit. Irgendwann hatte sie drei Seiten mit Text gefüllt und merkte, dass sie mit allem, was sie schrieb, eigentlich eine genaue Beobachtung verfasste, wie sich das, was sie heute gehört hatte, durch ihr eigenes Leben zog. Sie las den Text noch einmal von vorn und kam zu keinem anderen Ergebnis.
Unwillkürlich wollte sie die Mail versenden und hielt inne, als sie den Empfänger eintippte.
Bruder Morgenstern.
Aber der Abend hatte etwas verändert. Die Schwelle war erreicht, an der aus Gedanken Worte wurden, und aus Worten Taten. Sie entfernte den Namen, und statt den Text zu verschicken, klickte sie auf »Speichern«.
Anschließend klappte sie den Rechner zu und tauchte wieder in die Wärme des Kerzenlichtes ein. Ein weiches Gefühl umgab sie. Sie lächelte, legte sich hin, kuschelte sich eng an den Franzosen
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