Promenadendeck
man viel älter ist als sie. Bei mir sind's zwanzig Jahre. Und wenn man merkt, daß man nur ein alter Trottel ist, hat es schon zwölf geschlagen.‹ – Dann hat er sich sinnlos besoffen, und ich habe ihn zurück in seine Kabine geschleppt. Auf dem Rückweg zur Bar sah ich dann seine knutschende Frau mit Herrn Fehringer.« Oliver Brandes stieß sich von der Reling ab, um die Fischerboote am Mangrovensumpf zu fotografieren. »Dieser Chimborazo-Ausflug könnte eine Tragödie werden.«
»Was Sie da sagen, Herr Brandes, ist wirklich alarmierend.« Dr. Paterna wartete, bis Brandes das Boot und den Dschungel fotografiert hatte. »Haben Sie über Ihre Beobachtungen schon mit anderen Passagieren gesprochen?«
»Bin ich ein Tratschweib, Doktor? Natürlich nicht. Bloß jetzt zu Ihnen, und auch das nur, weil Sie von dem Höhenausflug erzählten und die Teilnehmer nannten.«
»Bitte, seien Sie weiterhin so verschwiegen. Und wenn sich zwischen Herrn Fehringer und Herrn de Jongh etwas tut, dann rufen Sie mich sofort im Hospital an.«
Paterna verließ das Promenadendeck und fuhr mit dem Lift hinauf zum Brückendeck. Kapitän Teyendorf stand mit dem Lotsen auf der Backbordnock und rauchte eine Zigarette. Die feuchtheiße Luft ließ auch ihn schwitzen.
»Unser Pillenverteiler!« rief er fröhlich, als er Dr. Paterna auf die Brücke kommen sah. »Halten Sie mal einen Hektoliter Mückenspray bereit. Wenn die Viecher vom Sumpfufer herüberkommen …«
»Kann ich Sie einen Augenblick sprechen, Herr Kapitän?« Die ernste Stimme und der Gesichtsausdruck Paternas ließen Teyendorfs Lachen ersterben. Er nickte, kam in den Navigationsraum und lehnte sich gegen den Kartentisch.
»Schlechte Botschaft, Doktor? Hat Bonnerveen seinem Freund den Schädel doch eingeschlagen?«
»Das wäre noch zu behandeln, Herr Kapitän.« Dr. Paterna nahm seine Mütze ab. Hier auf der Brücke, wohin kein Passagier durfte, war der Uniformzwang Teyendorfs etwas lockerer. »An Bord beginnt sich ein Drama zu entwickeln. Aus einem Nichts heraus.«
»Was heißt Drama und was heißt Nichts?«
»Ein Flirt könnte – so sieht es aus – zur Tragödie werden.«
»Ich weiß, daß für Sie ein Flirt ein Nichts ist, Doktor.« Teyendorf grinste etwas anzüglich. »Was also ist passiert?«
»Ein Herr Fehringer interessiert sich über alle Maßen für Frau de Jongh. Ihr Mann hat das bemerkt …«
»Wenn ich alle wütenden Ehemänner besänftigen soll, mache ich die nächsten Reisen nicht als Kapitän, sondern als Schiffspsychologe mit. Das wäre übrigens ein neuer und sehr nützlicher Beruf. Wirklich, man sollte das einführen. Schiffspsychologe – das ist die Idee! Mein Gott, wieviel entgleiste Seelen habe ich auf meinen Fahrten schon erlebt. Wie viele Psychosen! Welche Anhäufung von Hysterien! Doktor, das sollen Fehringer und de Jongh unter sich ausmachen. Was könnte ich denn dabei tun?«
»Eben, das fürchte ich, Herr Kapitän, daß sie es unter sich austragen. Sie sind beide bei der Gruppe, die einen Teil des Chimborazo besteigen will. Bis auf 4.800 Meter.«
»Das wird reichen, einen klaren Kopf zu bekommen.«
»Im Gegenteil, Herr Kapitän: Das wird reichen durchzudrehen, ohne dafür schuldig zu sein.«
»Ich verstehe Sie nicht.« Teyendorf sah Dr. Paterna etwas hilflos an. »Was meinen Sie damit?«
»Wenn de Jongh den absoluten Höhenkoller spielt – man könnte ihm nie beweisen, daß er ihn nicht wirklich gehabt hat – und Herrn Fehringer zum Beispiel in einen Abgrund stößt …«
»Du lieber Himmel, woran denken Sie, Doktor?! Das ist doch absurd.«
Teyendorf schob seine Mütze in den Nacken. Auch hier, im Navigations- und Kartenraum, nahm er sie trotz der schwülen Hitze nicht ab. Zwar lief die Klimaanlage auf vollen Touren im ganzen Schiff – in den Sälen war es, im Vergleich zur Außentemperatur, fast kalt, und Dr. Paterna hatte deswegen eine Menge Erkältungen prophezeit –, aber da auf der Brücke die Türen zu den Nocks offenstanden, nützte das hier sehr wenig. Teyendorf, immer Vorbild, ignorierte die Hitze.
»Ich habe es mir gut überlegt, Herr Kapitän, ehe ich mit dieser Sache zu Ihnen gekommen bin«, sagte Paterna, »aber je länger ich die Situation durchdachte, um so dramatischer erschien sie mir. Wir sollten die Gefahr nicht unterschätzen. Es gäbe keinen unschuldigeren Mörder als de Jongh! Jeder medizinische Sachverständige wird ihm bescheinigen, daß er bei knapp 5.000 Metern Höhe, auf die man ihn von Null quasi
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