Promenadendeck
er.
Brandes nickte. »Danke, Doktor. Wie kann man mit dreiunddreißig noch so ein Rindvieh sein?«
»Es gibt genug Menschen, die es noch mit achtzig sind. Wollen Sie einen Ausflug nach Quito machen?«
»Ich weiß es nicht, Doktor.« Oliver Brandes wiegte den Kopf. »Ich habe gelesen, daß Quito eine der höchstgelegenen Hauptstädte der Welt ist. 2.850 Meter hoch in den Anden. Ob ich das aushalte? Die dünne Luft dort … ich war noch nie so hoch. Wenn ich da die Höhenkrankheit bekomme?«
»Ich fahre als Begleitarzt mit der Gruppe. Außerdem: Bei knapp 3.000 Metern reagiert der Mensch noch normal, auch wenn er aus dem Tiefland kommt. Im übrigen habe ich einige Flaschen reinen Sauerstoff und Atemmasken dabei. Vorbeugend gebe ich Ihnen ein paar Tabletten. Also keine Angst.«
»Welch ein Aufwand! Ist das der Ausflug wert?«
»Wann kommen Sie jemals wieder nach Quito?«
»Nie mehr in diesem Leben.«
»Also sollten Sie das nicht versäumen. Übrigens brauen die Indianer da aus irgendwelchen Wurzelextrakten ein Getränk, das sie den höhenkranken Weißen anbieten und das hervorragend hilft. Was das ist, verraten sie nicht. Es schmeckt nach Matetee und sieht auch so aus.« Dr. Paterna blickte hinunter auf die kleinen schwimmenden Inseln und drei Eingeborenenboote, die am Dschungelrand im Fluß lagen. »Eine kleine Gruppe will sogar auf den Chimborazo hinauf, zum Humboldtlager. Da sehe ich allerdings schwarz.«
»Und warum verbietet man das dann nicht?«
»Wegen der individuellen Entfaltung. Jeder muß selbst wissen, was er sich zutrauen kann.« Dr. Paterna lachte. »Der älteste Teilnehmer zählt achtundsiebzig Jahre.«
»Oje!«
»Irrtum. Das sind die Zähesten! Meine Erfahrung von vielen Kreuzfahrten: Wenn die Passagiere im ›besten Alter‹ schlappmachen, sind die Alten immer noch munter. Vor allem die Frauen. Ich habe ehrwürdige Greisinnen erlebt, die im extremen Hochland hinter Cusco oder in der Wüste von Hadramaut allen anderen davonliefen und kein Verständnis für das allgemeine Stöhnen aufbrachten.«
»Wer nimmt denn alles an der Tour teil? Darf man das wissen?«
»Das ist doch kein Geheimnis. Da ist Dr. Schwarme mit Frau, die Herren de Angeli, Fehringer, Moor, Lindenthaler, Wrangel und vier andere, das Ehepaar de Jongh, Frau Steinberg …«
»Moment, Doktor!« Brandes winkte ab. »Nannten Sie das Ehepaar de Jongh?«
»Ja.«
»Und Herrn Fehringer?«
»Auch.«
»Das kann schiefgehen.«
»Wieso denn?« Dr. Paterna sah Brandes ahnungslos an. »Was ist denn da los?«
»Eine ganze Menge. Fehringer stellt Sylvia de Jongh nach, und ihr Mann hat davon Wind bekommen. Ich selbst habe beobachtet, wie sie sich in einer Ecke der Veranda geküßt haben. Dann das Duell beim Tontaubenschießen.«
»Duell?«
»Wer die Hintergründe kennt, hat es deutlich mitbekommen: Da ging es nicht um Tontauben, das war ein verkappter Zweikampf. Er endete unentschieden. Die Fortsetzung steht also noch aus. Herr de Jongh ist kein Mann, der auf Revanche verzichtet. Er ist Siegen gewöhnt.« Oliver Brandes sah Dr. Paternas sehr ernstes Gesicht. Er ahnte, was der Arzt jetzt dachte. »Es ist doch so, Doktor, daß ein Höhenkranker für unsinnige Handlungen nicht verantwortlich gemacht werden kann?«
»Kaum. Sein Bewußtsein kann äußerst gestört und eingeschränkt sein.«
»Er kann also Dinge tun, die er im normalen Zustand nie getan hätte?«
»Im Extremfall durchaus.«
Brandes atmete tief durch. »Konstruieren wir mal, Doktor. Herr de Jongh weiß das, nutzt die Höhe aus, spielt den Durchgedrehten und verursacht einen Unfall, bei dem Herr Fehringer ums Leben kommt. Keiner kann ihn verantwortlich machen, aber der Ehekonflikt de Jongh ist damit gelöst. Ein geradezu perfekter Mord. Auch wenn man sieht, daß die Tat vorsätzlich geschah – der Höhenkoller entzieht de Jongh aller Verantwortung. Welch eine fabelhafte, einmalige Gelegenheit!«
»Herr Brandes, Sie lesen sicherlich zu viele Kriminalromane.«
»Im Augenblick lese ich Konsalik.«
»Das reicht auch!« Dr. Paterna schüttelte den Kopf, aber es war eine ziemlich lahme Abwehr. »Es ist doch nur ein Urlaubsflirt! Wenn jeder deshalb sofort jemanden umbringen würde …«
»Jongh ist nicht ›jeder‹. Ich habe mit ihm einmal an der Atlantis-Bar getrunken. ›Sind Sie verheiratet?‹ hat er mich gefragt. ›Nein!‹ habe ich geantwortet. ›Dann seien Sie froh, Sie kluger Mensch‹, hat er gesagt. ›Eine schöne Frau ist eine Strafe Gottes, vor allem, wenn
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