Promenadendeck
den Kopf.
»Mir helfen. Beistehen. Dazwischenschlagen!«
»Bin ich lebensmüde? Soll ich eine Witwe und Waisenkinder hinterlassen? Ich hatte Sie gewarnt, Señor.«
»Das sind ja keine Menschen mehr, das sind wilde Tiere!«
»Es sind Hungernde ohne jede Hoffnung, Señor. Sie wollen arbeiten, sie wollen gute, ehrliche Sols verdienen, doch es gibt keine Arbeit für sie. Sie sind aber da, sie leben, sie haben Hunger und Durst. Sie wünschen nicht mehr als ein bißchen satt zu sein – aber auch das bleibt jeden Tag nur ein großer Wunsch. Und da kommen Sie nun, elegant wie ein Fürst. Ihre Kleidung und Ihre Wäsche werden einigen Familien für eine ganze Woche Nahrung bringen …«
»Peru ist doch ein zivilisiertes Land!« schrie Rieti.
»Zivilisation! Das ist ein Begriff der Reichen. Wer die Müllhaufen durchwühlt, die jeden Tag von Lima hier ausgekippt werden, um etwas Eßbares zu finden, der scheißt auf das, was ihr Zivilisation nennt. Er will nur noch eins: Überleben! So lieben wir also die Glücklichen in den Städten, denn ohne sie gäbe es keinen Müll. Und wir hassen sie gleichzeitig, weil sie glücklicher sind als wir. – Señor, ich habe Sie gewarnt!«
Die Absperrung am Hafen ließ sie, nach einem kurzen Blick ins Auto, mit einem Grinsen passieren. Am Schiff, auf der Pier, hielt der Fahrer an, während Rieti tief in seinen Sitz rutschte. Der Mestize ging hinüber zur Gangway und sprach mit dem wachhabenden Bootsmann in der weißen Tropenuniform, der sofort in der Tür verschwand und mit einem Kabinensteward wiederkam. Der Steward trug eine große Decke über dem Arm und einen Bademantel.
»Na, so was!« sagte er, als er die Wagentür öffnete. »Ganz nackt! Das haben wir noch nicht erlebt.«
»Geben Sie her!« fauchte Rieti, riß den Bademantel an sich, schlüpfte hinein und stieg aus dem Wagen. »Ich werde Sie alle anzeigen!« schrie er dem Fahrer zu, rannte dann die Gangway hinauf und verschwand im Schiff.
Die beiden höheren Polizeioffiziere, die als Gast von Hoteldirektor Riemke an Bord gekommen waren und in der fast leeren Atlantis-Bar saßen, winkten ab und lachten, als Pfannenstiel die Anzeige des Kammersängers überbrachte.
»Vergessen!« sagten sie und hoben ihre Gläser. »Wer in die barriadas geht, muß mit allem rechnen. Man geht nicht satt unter Hungernden herum.«
Völlig ahnungslos schien sich auch Ewald Dabrowski zu benehmen, als er in Lima aus seinem Taxi stieg und zu Fuß die Stadt durchstreifen wollte. Hier sah man äußerlich die Not nicht mehr. Prachtbauten säumten Plätze und breite Avenuen, Paläste und Kirchen, Universitäten und Denkmäler. Um die Plaza de Armas, den Mittelpunkt Limas, flutete der Verkehr und bummelten die Menschen. Die Läden waren überfüllt mit Waren wie im goldenen Westen. Die Bankfassaden wirkten nicht weniger prächtig als in Europa oder Amerika. Wer nur das Zentrum von Lima sieht, der muß glauben, Peru sei ein reiches Land.
Dabrowski ging behutsam, sich mit seinem weißen Stock vorantastend, durch die Straßen, die unlustige Beate neben sich. Sie nahm ihm noch immer übel, daß er nicht mit ihr nach Cusco und Machu Picchu geflogen war. Zwei Tage und zwei Nächte allein mit Dr. Paterna – das hätte vieles verändern können.
»Wohin gehen wir eigentlich?« fragte sie etwas schnippisch.
»In das Museum Larco Herreira.«
»Und was sieht man da?«
»Wundervolle Gold- und Silberarbeiten der Inkas.«
»Cusco wäre mir lieber gewesen.«
»Das glaube ich. Nicht Cusco, sondern der schöne Mario. Beatchen, davor will ich Sie bewahren. Sie werden mir einmal dankbar sein.«
Es passierte dann in der Via Santa Anna. Plötzlich standen zwei junge Männer vor ihnen, versperrten ihnen den Weg und griffen wortlos an. Der eine riß den ›Blinden‹ an sich und wollte ihm in die Rocktasche greifen, der andere stürzte sich auf Beate, zerfetzte ihre Bluse und riß ihr mit einem Ruck das schmale goldene Kettchen vom Hals.
»Hilfe!« schrie sie hell. »Hilfe!« Doch niemand griff ein, obgleich die Via Santa Anna von Fußgängern belebt war. Man sah zur Seite und bemühte sich, schnell weiterzukommen.
Was nun geschah, dauerte nur Sekunden: Mit einem schnellen, gekonnten Judogriff faßte Dabrowski seinen Straßenräuber. Eine blitzartige Drehung, und im Bogen flog der Mann durch die Luft, krachte auf das Pflaster. Er sprang zwar mit einem Schmerzenslaut wieder auf, sah aber mit fassungslosen Augen, wie sein Kumpan nun ebenso durch die Luft flog und gegen
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