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Promenadendeck

Promenadendeck

Titel: Promenadendeck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Gedanken krampfte sich sein Herz wieder zusammen. Er hatte einige Filme über Hurrikane und Taifune gesehen, wo ganze Häuser in die Luft geschleudert wurden, Autos zu Bällen wurden, haushohe Wellen die Küste wegrissen und das Land im Wasser versank. Wenn da ein Schiff hineingeriet, half auch kein Beten mehr. Jedenfalls war Brandes davon fest überzeugt. In diesem Zusammenhang hatte er sich auch vorgenommen, einmal mit dem evangelischen Bordgeistlichen, dem Pastor Günter Wangenheim, zu sprechen und ihn zu fragen, ob er beim Untergehen des Schiffes zu ihm kommen und mit ihm beten dürfte.
    Genau um zehn Uhr heulte die Sirene: dreimal lang, dreimal hintereinander. Oliver Brandes fuhr in seinem Liegestuhl hoch, sah mit blankem Entsetzen, wie seine Nachbarn wegrannten und schon viele Passagiere, mit gelber Schwimmweste um den Hals, über Treppen und Decks hasteten.
    »Ich habe es geahnt«, stammelte Brandes und blieb stocksteif liegen. »Ich wußte es! Aber jetzt schon? O mein Gott, warum muß das sein? Meine erste Schiffsreise … und sie geht in die Tiefe des Pazifiks.«
    Der Decksteward kam zu ihm und machte, wie Brandes meinte, einen gefaßten Eindruck.
    »Sie müssen sofort die Schwimmweste anlegen, mein Herr, und zu Ihrer Bootsstation gehen.«
    »Hat es noch einen Sinn?« Oliver Brandes faltete die Hände. Er hatte schon viel darüber gelesen. »Frauen und Kinder zuerst … ich bin alleinstehend, der letzte. Es hat doch keinen Sinn.«
    Der Steward verstand ihn falsch und streckte ihm die Hand hin, um ihm aufzuhelfen. »Es ist Vorschrift, mein Herr. Bitte, gehen Sie sofort in Ihre Kabine, legen Sie die Weste an und stellen sich unter Ihre Bootsstation.«
    »Ist denn genug Platz da?« stammelte Brandes.
    »Unsere Boote und die Rettungsinseln fassen das Doppelte – aber das werden Sie ja hören.«
    Brandes erhob sich, ging die Treppen hinunter bis zu seinem Deck und begegnete den mit Schwimmwesten bewehrten Passagieren, die alle zum Promenadendeck strebten. Auch zwei Offiziere kamen ihm entgegen, in sauberen weißen Uniformen und ohne Weste. Natürlich, dachte Brandes. Die Besatzung zuletzt. Und der Kapitän steht oben auf der Brücke, legt grüßend die Hand an die Mütze und geht mit seinem Schiff unter. Das hatte er zweimal im Kino gesehen, und es hatte ihn tief erschüttert. Der Kapitän und sein Schiff – Treue bis in den Tod.
    Er stülpte in der Kabine seine Schwimmweste über, sah, daß er Boot 4 hatte, und stieg hinauf zum Promenadendeck. Noch haben wir keine Schlagseite, dachte er zuversichtlich. Das ist gut, da kommt nicht so schnell Panik auf. Vielleicht überlebe ich doch.
    Unter Boot 4 waren schon alle seine Leidensgenossen versammelt. Brandes bewunderte ihre Disziplin, ihren Galgenhumor. Sie lachten und unterhielten sich, einige rauchten sogar oder fotografierten sich gegenseitig. Auch der Bordfotograf ging herum, machte Bilder von Ehepaaren an der Reling oder von fröhlichen Gruppen. Brandes empfand es als makaber, eine Todesgefahr derart zu vermarkten. Er lehnte sich an die Wand und schloß ergeben die Augen.
    »Da sind Sie ja!« hörte er eine bekannte Stimme. »Ich habe Sie schon gesucht.«
    »Doktor! Gut, daß Sie da sind!« Brandes begann zu zittern. »Sie bleiben doch in meiner Nähe, nicht wahr? Sind Sie auch in Boot 4? Gott sei Dank! Wie lange dauert es noch?«
    »Vielleicht zwanzig Minuten, nicht länger.« Dr. Paterna rückte Brandes' Schwimmweste gerade und zog die Schnüre zu. »Dann sind Sie erlöst.«
    »Erlöst …« Oliver Brandes schluckte krampfhaft. »Ich stelle mir Ertrinken schrecklich vor.«
    »Nur die ersten Minuten sind schlimm. Wenn erst das Wasser in der Lunge ist …«
    »Mir wird schlecht.« Brandes verdrehte die Augen. »Ich falle gleich um …«
    Dr. Paterna faßte Brandes unter und schleifte ihn zur Tür ins Treppenhaus. Für ihn fiel jetzt die Übung aus, aber es war nicht nötig, ihn ins Hospital zu bringen. So eine Hysterie legt sich von selbst, und wenn Brandes etwas Alkoholisches in der Kabine hatte, war man schnell über den Tiefpunkt hinweg.
    Bleich legte sich Brandes auf sein Bett, während Dr. Paterna aus dem Eiskübel eine Flasche Wodka holte. Er goß ein halbes Wasserglas voll und setzte es Brandes an die Lippen. Dem quollen die Augen hervor wie einem Erstickenden.
    »Austrinken!«
    »Herr Doktor, ich kotze …«
    »Nichts werden Sie! Ich habe mir so etwas gedacht, darum suchte ich Sie überall.«
    »Nur noch zwanzig Minuten. Wollen Sie sich nicht retten,

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