Promenadendeck
wirken: Man sieht sie an, man hört ihre Stimme, man mißt ihren Körper mit den Augen ab, man genießt ihren tänzerischen Gang und verliert darüber das Gefühl für die Realität. Es ist ein verführerischer Zauber, der über einen kommt, angereichert mit den wahnwitzigsten Wünschen.
Hans Fehringer, der Sylvia neben ihrem Mann stehen sah, die langen schwarzen Locken mit einem blutroten Samtband zurückgebunden, die Brüste in dem tiefausgeschnittenen, dünnen, die Figur nur farblich umhüllenden Kleid, atmete tief durch die Nase und lehnte sich gegen den großen Schaukasten, der am Eingang zum Speisesaal hing und neben den Speisenkarten auch die Fotos des Chefkochs, der Oberstewards und der Hostessen enthielt. Er sah, daß diese herrliche Frau auch ihn bemerkt hatte, denn ein Fehringer war nicht zu übersehen, weder in der Größe noch in seiner männlichen Ausstrahlung und seiner Eleganz, auch wenn diese aus einem Versandhauskatalog stammte. Es kommt immer darauf an, wer und wie man etwas trägt: Es gibt Strickjacken aus Kaschmirwolle, die mehr als fünfhundert Mark kosten, und solche aus Mischgeweben für neunzig Mark – und die eine hängt am Körper wie ein Sack, während die andere den Träger geradezu modelliert. Sylvias und Hans Fehringers Blicke kreuzten sich schnell; Fehringer zauberte ein Lächeln auf seine Lippen, und sie drehte sofort den Kopf weg. Der Mann neben ihr sagte etwas und blickte auf seine Uhr – noch eine Minute, bis die Glastüren zum Speisesaal freigegeben wurden. Er schien zu meckern über diese pedantische Zeiteinhaltung, er hatte wohl Hunger; ein großer, schwerer Mann, sichtbar älter als seine Frau, mit breiten Händen und starken Fingern.
Als Sylvia vor fünf Jahren seiner tapsigen Werbung nachgab und seine Frau wurde, konnte er das eigentlich nicht fassen. Auch heute noch fragte er sich manchmal, wie er zu dem Glück kam, eine solche Frau zu besitzen. Sie war damals in seine Kunstschmiede gekommen, im Auftrag ihrer Eltern, und hatte eine dreiflügelige Türkombination aus Schmiedeeisen bestellt. Er hatte sechs Entwürfe gemacht, einer schöner als der andere, und als sich die Eltern entschieden hatten, gingen er und drei Gesellen mit wahrer Begeisterung an die Arbeit.
So hatte es angefangen. Die Kunstschmiede Knut de Jongh besaß einen über die Grenzen hinweg guten Namen; dort waren schon damals vierundzwanzig Mann beschäftigt – heute neunundsechzig –, und Knut war seit drei Jahren Witwer. Seine Frau war während eines Urlaubes auf einer dänischen Insel im Meer ertrunken, eine Herzattacke, wie der Arzt später sagte; eine tragische Situation, aus der es keinen Ausweg gegeben hatte.
Die Ehe mit Sylvia, das stellte sich sehr schnell heraus, war ein einziger Streß. Nicht, weil Knut bei zwanzig Jahren Altersunterschied das nicht mehr schaffte, was eine junge, hübsche Frau vom Leben verlangt, sondern weil er immer und überall, wo er mit Sylvia hinkam, erleben mußte, wie die anderen Männer blitzschnell verblödeten. Grund zur Eifersucht hatte er allerdings nicht, denn Sylvia schien ihm eine treue Ehefrau zu sein, wenn sie auch gerne flirtete. Trotzdem störte es ihn maßlos, daß andere Männer seine Frau mit den Augen auffraßen.
Um möglichst keinerlei Versuchungen aufkommen zu lassen, schluckte Knut de Jongh potenzfördernde Pillen, nahm Prokainkapseln ein und ließ sich zweimal wöchentlich massieren, um die Durchblutung anzuregen – alles nur, um Sylvia auf seinen breiten Händen ins Bett oder auf die Couch tragen zu können und ihr zu beweisen, daß ein Mann mit zweiundfünfzig im besten Alter war.
In Seebäder fuhr er mit Sylvia nicht mehr. Er hatte dort keine ruhige Minute, wenn sie im knappen Bikini an den Stränden spazierenging. Wie Bären einer Honigspur folgen, so trotteten die Männer hinter ihr her. Ein paarmal überlegte er, ob er seine Kraft, die er am Schmiedetisch und am Amboß erworben hatte, einsetzen sollte – dann wäre der Strand mit besinnungslosen Männern gepflastert –, aber dann kam er zu dem Entschluß, auf Kreuzfahrten auszuweichen. Man sah viel von der Welt, konnte das Areal überblicken, die größte Zahl der männlichen Passagiere war älter als er, und man hatte Sylvia immer unter Kontrolle. Wenn er neben ihr saß, ein Klotz von Mann in einem weißen Smoking, unter dem man die Muskeln ahnte, mit hartem Blick jeden Mann anstarrend, der sich ihrem Tisch näherte, dann wagte es keiner, die schöne junge Frau zum Tanzen
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