Promenadendeck
seine Brust und kehrte zum Schlafraum zurück. Er beugte sich über Anne White und sah, daß es bei dieser Körperlage unmöglich war, sie mit dem Kissen zu ersticken. Sie mußte auf dem Rücken liegen, das Gesicht völlig frei, nur so konnte er es in dem Kissen begraben.
Er legte das Kissen auf den Teppichboden, drehte Anne White vorsichtig und langsam auf den Rücken und wartete dann, ob sie davon aufwachte. Aber auch sie war von Jims Durchhaltevermögen so erschöpft, daß sie einfach weiterschlief. Sie lächelte nur im Schlaf, als träume sie etwas Wunderschönes, und ihr Gesicht unter dem etwas verschmierten Make-up wirkte geradezu mädchenhaft.
Claude Ambert zögerte noch einmal. Ich bin kein kaltblütiger Mörder, dachte er, und ich bin auch nicht irr; aber dort drüben, in einer einfachen Schublade, liegt mein neues Leben. Was bin ich denn jetzt? Eine Null mit zwei Elefanten, die jeden Tag ihr Fressen wollen. Um jedes Engagement muß ich betteln, die Zuschauer sind ja alle übersättigt mit Sensationen. Es geht so nicht weiter … ich muß es tun … Daß es nur noch Mörder gäbe auf dieser Welt, wenn jeder so handeln würde – daß er nichts war als ein ganz gemeiner Verbrecher, dieser Gedanke kam ihm nicht.
Er bückte sich, hob das Kissen vom Teppich und drückte es mit aller Gewalt auf das lächelnde Gesicht von Anne White. Erstaunt registrierte er, daß sie sich kaum wehrte, daß sie nicht um sich schlug, daß sie nur zuckte und mit den Beinen ein paarmal trat – dann lag sie still, und er drückte das Kissen noch stärker auf ihr Gesicht, beschwerte es mit seinem Oberkörper und mußte dabei den bärtigen Mann ansehen, der schnarchend daneben lag.
Es ging sehr schnell; schneller, als er geglaubt hatte. Annes Körper streckte sich, er nahm das Kissen von ihrem Gesicht und stellte fest, daß es jetzt etwas verzerrt war. Sie atmete nicht mehr. Er legte sein Ohr auf ihre Brust und hörte keinen Herzschlag mehr. Sie war tot.
Mit schnellen Schritten war er am Schreibtisch, zog die Schublade auf und sah die dicken Dollarbündel. Hastig stopfte er alles in seine Taschen, stieß die Schublade wieder zu und glitt zur Tür.
Auf dem Gang herrschte tiefe Ruhe. Um diese Zeit lief außer der Brandwache niemand mehr im Schiff herum. Nur im Night-Club war noch Betrieb; er hörte es, als er aus dem Lift kam und schnell hinter der Eisentür verschwand, auf der deutlich ›Eintritt verboten – Hochspannung!‹ stand. Das war eine bewußte Irreführung der Passagiere, um ihre Neugier zu dämpfen; dahinter kam ein langer Gang, der am Ladebunker vorbei bis zu der Treppe führte, die zum tiefsten Punkt des Schiffes ging; zu dem großen Bunker, in dem jetzt die Elefanten schliefen.
Aufatmend warf sich Claude Ambert neben seinen grauen Lieblingen ins Stroh und schloß die Augen. Morgen, ganz in der Frühe, sind wir in Acapulco. Wenn man die tote Mrs. White findet, denkt mit Sicherheit niemand an den Elefantendompteur. Warum auch? Was hatte der mit Mrs. White zu tun?
Claude Ambert verpackte die Dollarscheine, ohne sie zu zählen, in die Kostümkiste, ganz unten unter den glitzernden Elefantenkopfputz, mit dem sie in der Manege auftraten. Hier, das wußte er, würden auch die mexikanischen Zöllner nicht suchen. Im Gegenteil! Wenn seine Elefanten mit hochgerecktem Rüssel und mit kreischendem Schrei an den Zollbeamten vorbeigingen, würden sie lachen und winken: In Ordnung, camarada! Viel Glück mit deinen grauen Mäusen! In Mexiko hatte man noch Humor. Und jenseits des Grenzpfahls und des Schlagbaumes war er ein reicher Mann …
Er lag wach neben seinen Elefanten, bis er hörte, wie die Schiffsmaschinen nur noch mit halber Kraft und dann fast kaum noch spürbar liefen. Acapulcos Hafeneinfahrt war erreicht.
Ambert stieg aus der Unterwelt hinauf zum Hauptdeck und traf dort auf Rainer Steger, den 2. Zahlmeister. Ein schöner Tag kündigte sich an; die Sonne ging blutrot auf, der Himmel vergoldete sich.
»Werde ich zuerst ausgeladen?« fragte Ambert.
»Natürlich. Ist alles klar bei Ihnen?«
»Alles.«
»Dann halten Sie sich bereit!«
Ambert fuhr mit dem Lift zum Sonnendeck, trat auf das Promenadendeck und blickte hinauf zur Brücke. Kapitän Teyendorf und der I. Offizier Willi Kempen leiteten das Anlegemanöver. Zentimeter um Zentimeter schwamm der weiße Schiffskoloß an den Kai, von Teyendorf selbst, wie immer, mit Hilfe des modernen Bugstrahl-Ruders geführt.
Ambert begab sich wieder hinunter in den Bunker und
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