Promenadendeck
und Eduard Grashorn, die, ihren Arm von Schulter zu Schulter gelegt, exotische Cocktails aus Longdrinkgläsern schlürften. Einige Paare tanzten auf der kleinen runden Tanzfläche. In einem der Ecksofas saßen der Jurist Dr. Schwarme und der italienische Weingutbesitzer Arturo Tatarani und unterhielten sich über piemontesischen Wein. Die Friseurmeisterin Barbara Steinberg, eine blonde, achtundzwanzigjährige Schönheit, gab sich trotz der begehrlichen Blicke der Männer unnahbar, himmelte allerdings von ihrem Zweiertisch aus den an der Bar sitzenden Schiffsarzt Dr. Paterna an, der den Blinden an seiner Seite hatte. Ein Jammer, daß der Doktor nicht allein ist, dachte sie.
Herbert Fehringer sah sich um, entdeckte noch einen freien Tisch und steuerte ihn an. Dabei kam er auch an Barbara Steinberg vorbei und grüßte sie, wie man Deckbekannte grüßt. Sie ignorierte den Gruß und starrte weiter auf Dr. Paterna, Dämliche Kuh, dachte Fehringer erbost. Immer dasselbe: Außen wie eine Venus, aber im Hirn nur Leere. Warum sind gerade die hübschen Frauen besonders dumm? Das ist eine Frage, mit der sich mal die Anthropologen beschäftigen sollten.
Ewald Dabrowski beugte sich zu Dr. Paterna. Er konnte jetzt ganz offen sprechen, denn die Musik war laut genug und übertönte das Gespräch. »Ich glaube, Doktor, ich sehe als Blinder mehr als Sie. Da drüben sitzt eine wunderschöne blonde Maid, die nur Augen für Sie hat.«
»Die Friseurmeisterin Steinberg aus Bochum.«
»Aha! Schon das Lasso zum Einfangen geworfen?«
»Noch nicht.« Dr. Paterna lächelte breit. »Schwester Erna hat nur eine Notiz hinterlassen. Fräulein Steinberg hat sich aus der Hospitalapotheke ein paar Tabletten gegen Migräne geholt.«
»Und nach Ihnen gefragt.«
»Das tun sie alle. Schließlich bin ich der Arzt.«
»Und wie lange bleiben Sie an Bord?«
»Die ganze Reise über. Anschließend geht's in den Urlaub. Ich will den Job noch drei Jahre lang durchstehen.«
»Und dann?«
»Mir schwebt eine Praxis irgendwo in Bayern vor. An einem See. Mit einem kleinen, eigenen Sanatorium, in dem all das praktiziert wird, was heute im Gespräch ist: Sauerstoffmehrschritt-Therapie, THX-Injektionen, H3-Aslan-Kuren, Sauerstoff-Blutwäsche, autogenes Training, verschiedene Diätformen, Chelatinfusionen, Heilfasten, Oxyvenierung, Bioregeneration, Zelltherapie …«
»Sagen wir: Alles, was viel Geld bringt.«
»So ist es.«
»Sie wollen ein Modearzt werden. Einer, der immer in ist. Ein Arzt des Jet-set. Ein Streichler der Schickeria.«
»Wenn Sie es so nennen … ich kann Ihnen kaum widersprechen. Nur möchte ich festhalten: Ich behandele jeden nach meinem besten ärztlichen Wissen und Gewissen.« Dr. Paterna schüttelte den Kopf. »Warum erzähle ich Ihnen das alles? Wie komme ich dazu? Wir kennen uns kaum ein paar Stunden.«
»Weil wir uns auf Anhieb sympathisch sind, Sie haben sofort meinen Blindentrick durchschaut.«
»Das war für einen Arzt – wie ich Ihnen schon erklärte – sehr einfach. Ein Blinder verhält sich anders.«
»Und ich habe gesagt: Ab morgen trainieren Sie mich auf blind! – Bleibt es dabei?«
»Es wird mir ein Vergnügen sein.« Dr. Paterna bestellte noch zwei Pils vom Faß. »Am besten ist die Zeit geeignet, in der die Passagiere ihre Ausflüge machen. Dann sind neunzig Prozent der Reisenden von Bord und keiner stört uns. Ich kann mit Ihnen sogar das Treppensteigen üben. Falls uns doch jemand sieht … nun ja, dann heißt es, der gute Dr. Paterna gibt dem armen Blinden Nachhilfeunterricht.«
»Sie werden an Bord das Image eines Halbheiligen bekommen!«
»Das hat ein Schiffsarzt zumindest bei der Weiblichkeit von Beginn an. Daran muß man sich gewöhnen und es mit Tapferkeit tragen.« Dr. Paterna lachte jungenhaft. »Jetzt, auf solch großen Reisen, ist es nicht so schlimm. Aber wenn wir im Sommer kreuz und quer durchs Mittelmeer schippern, immer so zehn oder vierzehn Tage pro Reise, also schneller Passagierwechsel – da ist was los, kann ich Ihnen sagen! Da glaubt man, die Frauen hätten den Schiffsarzt mitgebucht. Vierzehn Tage Ausbruch aus dem Lebensallerlei, und dann Rückkehr zur braven Hausfrau oder zum ehrbaren Fräulein …«
»Wundert Sie das?«
»Nein. Das Leben sollte man genießen, ehe es muffig wird, und das passiert leider schnell genug! – Wie ist es mit Ihnen?«
»Wie soll ich das verstehen?«
»Sind Sie verheiratet?«
»Dazu hatte ich – wirklich ehrlich – noch keine Zeit. Mein Beruf ist außerdem
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