Promenadendeck
»Das ist schon viel wert.«
»Das Schloß der Schublade wurde fachgerecht geknackt. Reden wir jetzt nicht über die Haftung der Reederei; sprechen wir davon, daß sich ein Verbrecher an Bord befindet. Das hat uns alle entsetzt, glauben Sie mir. Wie sich nachträglich herausgestellt hat, ist er schon bei dem Begrüßungsball tätig gewesen. Nach einem Tanz vermißte die Gattin eines Passagiers einen wertvollen Brillantring von mehreren Karat. Man dachte bisher, sie habe ihn beim Tanzen verloren, aber er fand sich nicht wieder. Auch in diesem Fall kommt übrigens die Reederei für den Schaden nicht auf. Es ist zu befürchten, daß dieser Juwelendieb seine Arbeit fortsetzt.«
»Wie spannend! Auf diesem merkwürdigen Schiff bekommt man ja die Kriminalromane auf eigene Kosten geliefert! Das nennt man wirklich – wie es im Prospekt steht – eine Fülle an Unterhaltung.«
Dr. Schwarme wurde ironisch. Die Kunst des beißenden Spotts beherrschte er vollkommen. Bei vielen Prozessen hatte er damit seinen Gegner aus der Reserve und auf die Verliererstraße gelockt.
»Ich kann Ihre Verbitterung verstehen, Herr Dr. Schwarme.« Kapitän Teyendorf goß die Gläser voll. »Trotzdem sollten wir jetzt emotionslos miteinander reden.«
»Können Sie das?«
»Ich muß es. Im Interesse der Passagiere und des Schiffes. Wir haben all das, was ich Ihnen gleich sage und vorschlage, eingehend durchgesprochen.«
»Mit wem?«
»Mit den Offizieren und Herrn Dabrowski.«
»Dabrowski? Der Blinde? Wieso mit dem?«
Der Kapitän zögerte eine Sekunde. »Ich vertraue Ihnen etwas an, das ganz unter uns bleiben muß«, sagte er dann. »Ich appelliere an Ihre Verschwiegenheit … Herr Dabrowski ist Detektiv und seine Blindheit nur Tarnung. Gegenüber den Passagieren muß er auch weiterhin noch inkognito bleiben.«
»Aber warum denn? Es geht hier um einen sehr wertvollen Schmuck.«
»Das weiß er. Eben deshalb. Von dem Diebstahl soll auch nichts bekannt werden. Wir dürfen den Dieb auf keinen Fall vorzeitig warnen, das ist das Wichtigste. Also absolutes Stillschweigen, keinen Ton zu den anderen Passagieren! Schon die geringste Andeutung kann alles verderben. Wir müssen uns so verhalten, als sei nichts geschehen. Sie vermissen einfach nichts …«
»Das zu akzeptieren, ist wirklich eine Zumutung, Herr Kapitän.«
»Es geschieht zu Ihrem Besten. Bis Valparaiso wird kein Passagier das Schiff verlassen. Bis dahin hoffen wir, den Dieb entdeckt zu haben. Das ist aber nach Ansicht des Detektivs nur möglich, wenn Sie und Ihre verehrte Gattin den Diebstahl völlig ignorieren. Das läßt ihn vielleicht leichtsinnig werden.«
»Und wenn nicht? Er ist doch, wie Sie sagten, ein Profi. Ein Profi wird nicht nervös … Erzählen Sie mir nichts, Herr Kapitän! Ich habe schon manchen Profi verteidigt, dessen Nervengerüst oft besser war als meins.«
»Stillschweigen ist die beste Falle, glauben Sie mir. Der Dieb muß mit einem riesigen Handicap leben: Er kann nicht von Bord. Nicht vor Valparaiso. Herr Dr. Schwarme, liebe gnädige Frau – wir sind auf Ihre Mitarbeit angewiesen.«
Sie tranken von dem Loirewein und sahen sich dann eine Weile wortlos an. Endlich nahm Dr. Schwarme das Gespräch wieder auf.
»Ich muß zugeben: Es gibt kaum eine andere Möglichkeit.« Er sah seine Frau an. Erna hatte es aufgegeben, das Taschentuch gegen ihre Augen oder ihre Lippen zu pressen. »Was sagst du dazu, Liebes?«
»Ich bin ganz deiner Meinung, Peter«, hauchte sie. Als hilfloses Wesen wirkte sie noch jünger und hübscher; man verspürte den Drang, sie unentwegt streicheln zu müssen. »Ich sage keinen Ton.«
»Meine alte Frage steht aber immer noch im Raum: Was geschieht, wenn in Valparaiso der Passagierwechsel stattfindet, ohne daß wir bis dahin den Dieb entdeckt haben?«
»Dann stehen wir vor einer Situation, an die ich noch nicht zu denken wage. Das kommt aber erst einen Tag vor der Ankunft in Valparaiso.« Kapitän Teyendorf prostete dem Ehepaar Dr. Schwarme zu: »Trinken wir auf einen Erfolg!«
Man stieß mit den Gläsern an, etwas bedrückt, aber nun doch nicht mehr ganz so hoffnungslos. Im Gegenteil: Erna Schwarme dachte jetzt intensiv darüber nach, wen es an Bord noch treffen könnte, wenn der Dieb wieder zuschlüge. Da war in erster Linie Mrs. White. Dann der Schmuck von dieser Sylvia de Jongh, der hochnäsigen. Mindestens siebzig Frauen an Bord trugen den Reichtum ihrer Männer spazieren – ein Paradies für einen Juwelendieb!
Kapitän Teyendorf
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