Promenadendeck
war mit diesem Stillhalteabkommen zufrieden. Nun konnte der Detektiv weiter den Blinden spielen. Ein paar Minuten später rief dann Dabrowski an und verlangte dringend nach dem Kapitän. Teyendorf tat so, als werde er auf der Brücke gebraucht. Er verabschiedete das Ehepaar Schwarme, wartete noch ein paar Minuten, bis er sicher war, daß sie außer Sichtweite waren, und fuhr dann hinunter zum Bordkino.
Hier saßen Dabrowski, Riemke, Willi Kempen und Obersteward Pfannenstiel vor einem Farbfernseh-Großbildprojektor, dessen Bildschirm erstaunlich groß war. Die Wartenden erhoben sich, als Teyendorf das Kino betrat.
»Machen wir es doch nicht so förmlich, meine Herren!« sagte der Kapitän. Das war aber nur eine rein rhetorische Aufforderung, denn Disziplin, Ordnung und Benehmen gehörten zu den Grundregeln seines Lebens. Nie hätte es zum Beispiel jemand gewagt, ihn einfach Käpt'n zu nennen – er wäre sofort zusammengestaucht worden. Es hieß immer und überall nur ›Herr Kapitän‹. Jede Lässigkeit war in Teyendorfs Augen der Beginn des Chaos.
Er setzte sich zu den anderen, und Riemke rief dem Film- und Fernsehoperateur zu: »Abfahren, Raffael!«
Raffael, der Filmvorführer und Fernsehtechniker aus Catania, den nichts, was Probleme mit der Elektrizität betraf, erschüttern konnte, nahm über die Lichtregelung einen Teil der Saalbeleuchtung zurück. Dann erschien auf dem riesigen TV-Bildschirm zunächst eine Totalaufnahme der Mannschaftskabine. Die Kamera schwenkte und ergriff den ersten Matrosen, der zur Tür hereinkam. Sehr schnell zog sie den Kopf heran, so daß von nun an nur die Gesichter in Großaufnahme zu sehen waren. Riesengroß grinsten die Mannschaften in die Kamera.
»So genau habe ich die Kerle noch nie gesehen«, sagte Willi Kempen.
Nach sechs Bildern sprach Dabrowski dazwischen. »Jetzt kommt der erste Bartträger. Aber sein Bart ist rotblond. War er das immer? Oder hat er ihn vielleicht ganz schnell gefärbt?«
»Das ist Franz Stückerich.« Obersteward Pfannenstiel lachte laut, weil Stückerich in die Kamera schaute wie ein Schaf. »Den kenne ich nur mit rotem Bart.«
Zwei Stunden fast dauerte der Vorbeimarsch der Gesichter. Im ganzen waren es hundertsiebzig Mann. Die anderen hatten Landurlaub und würden morgen früh mit der TV-Kamera aufgenommen werden. Vierzehn Bartträger mit dunklen Barten gab es unter den Männern des ersten Durchganges, aber bei jedem sagten entweder Pfannenstiel oder Riemke: »Den halte ich hundertprozentig für unschuldig!« Es war auch keiner darunter, der etwa früher einen Bart gehabt und ihn plötzlich abrasiert hatte. »Unschuldig ist niemand«, meinte Dabrowski zwischendurch. »Ich möchte nicht wissen, wie viele von denen da ein schlechtes Gewissen haben. Aber es geht um einen Mörder – oder um jemanden, der mit dem Mord zu tun hat.«
»Wer von den Passagieren trägt einen dunklen Bart?« fragte Teyendorf.
Hoteldirektor Riemke nahm eine Liste aus der Rocktasche. »Neun Herren. Ich habe die Namen und ihre Berufe notiert. Jeder von ihnen hätte die Dollars von Mrs. White nicht nötig.«
»Ein gesundes Mißtrauen ist in jeder Situation angebracht.« Dabrowski starrte weiter auf die vorbeiziehenden Gesichter, die die ganze Leinwand ausfüllten, »ich hatte einmal einen Fall, in den ein mehrfacher Millionär verwickelt war. Kein Besitzmillionär, sondern ein Kontomillionär. Das ist nämlich wichtig! Besitzmillionäre gibt es eine ganze Menge: Kontomillionäre aber, die ihre Millionen sofort in Geldnoten haben könnten, wenn sie es wollten – die sind dünn gesät. Und dieser vornehme Herr – er hatte einen strahlenden Namen – überfiel mit Strumpfmaske und Revolver insgesamt neun Juweliergeschäfte in ganz Europa. Er raubte dabei Millionen, schickte jedoch jedesmal nach spätestens drei Tagen den erbeuteten Schmuck an den Juwelier zurück. Bis wir ihn ertappten, auf frischer Tat. Er hatte als vierzehnjähriger Junge einmal einen Film über Juwelenräuber gesehen, und das hatte bei ihm einen Wackelkontakt im Gehirn ausgelöst. Es überkam ihn wie ein Zwang, ganz unregelmäßig: Du mußt jetzt ein Geschäft ausrauben! – Der Mann kam in psychiatrische Behandlung, es gab kein Gerichtsverfahren. Heute sitzt er geheilt in einer Riesenvilla am Genfer See und kann sein Vorleben beim besten Willen nicht begreifen.« Dabrowski räusperte sich. »Ich will damit nur sagen: Die neun ehrenwerten Passagiere an Bord, die einen Bart tragen, müssen wir in den
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